Es gibt in Deutschland nur vereinzelte gesetzliche Regelungen zum Schutz von Whistleblowern. Das bedeutet erhebliche Rechtsunsicherheit für alle Arbeitnehmer, die Rechtsverstöße, Missstände und Gefahren in ihrem Arbeitsumfeld aufdecken wollen. Darum gehört zu unseren zentralen Arbeitsfeldern die politischen und rechtlichen Entwicklungen zum Thema Whistleblowing zu beeinflussen. Ziel ist ein umfassender gesetzlicher Whistleblowerschutz.
Whistleblowing-Richtlinie
Im Oktober 2019 hat die Europäische Union eine Richtlinie zum Schutz von Personen verabschiedet, die in ihrem Arbeitsumfeld Verstöße gegen geltendes EU-Recht melden. Innerhalb von zwei Jahren mussten die EU-Mitgliedsstaaten von zwei Jahren gesetzliche Regelungen schaffen, die Hinweisgeber vor Repressalien schützen. Deutschland hat die Vorgaben der EU-Richtlinie mit einjähriger Verspätung umgesetzt und ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. Die dort enthaltenen Regelungen müssen mindestens dem Schutzniveau der Richtlinie entsprechen und werden gerade in Deutschland eine erhebliche Verbesserung des Whistleblowerschutzes zur Folge haben (siehe FAQs). Nach mehreren gescheiterten Versuchen verschiedener Parteien, in Deutschland ein Whistleblower-Schutzgesetz zu verabschieden, ist dies eine erfreuliche Entwicklung. Allerdings muss für einen wirksamen Schutz erheblich über die Minimalvorgaben der Richtlinie hinausgegangen werden. Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland haben hierzu ein gemeinsames Positionspapier verabschiedet. Oktober 2020 hat Whistleblower-Netzwerk gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen ein Positionspapier veröffentlicht speziell zu Fragen des Schutzes von freier Meinungsäußerung und Pressefreiheit.
Ende 2020 hat das federführende Bundesjustizministerium seinen Referentenentwurf zur Abstimmung an die Ressorts geschickt. Allerdings konnte sich die Regierungskoalition nicht auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf einigen. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag neue Eckpunkte für ein Umsetzungsgesetz festgehalten und steht unter großem Handlungsdruck, weil die Europäische Kommission Ende Januar ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der ausstehenden Umsetzung der Richtlinie gegen Deutschland und weitere EU-Mitgliedsstaaten eingeleitet hat. Die Frist zur Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie war am 17.12.2021 abgelaufen.
Am 6.4.2022 hat das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf in die Ressortabstimmung gegeben. Er sieht eine moderate Ausweitung des Anwendungsbereichs auf bestimmte Bereiche der nationalen Gesetzgebung vor. Allerdings dürfen Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße nicht gemeldet werden. Zudem sind Informationen, die die „nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates“ betreffen, vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Der Entwurf sieht keine Pflicht zur Nachverfolgung anonymer Meldungen vor. Offenlegungen sollen weiterhin nur in wenigen Ausnahmefällen erlaubt sein. In einer gemeinsamen Stellungnahme mit unserer internationalen Partnerorganisation „Whistleblowing International Network“ (WIN) fordern wir hier Nachbesserungen.
Am 27.07.2022 hat die Bundesregierung einen Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. Er beruht weitgehende auf dem Referentenentwurf vom 6.4.2022. Anders als der Referentenentwurf sieht er eine Nachverfolgung anonymer Meldungen vor, allerdings nicht verpflichtend und nur „soweit dadurch die vorrangige Bearbeitung nicht-anonymer Meldungen nicht gefährdet wird.“ Die Weitergabe von Verschlusssachsen ist nur dann geschützt, wenn sie sich auf die unterste Geheimhaltungstufe beziehen, Straftaten betreffen und behördenintern erfolgen. Warum der Regierungsentwurf daher trotz aller Verbesserungen für den Whistleblowerschutz überarbeitet werden muss, haben wir in unserer Pressemitteilung und in der Anhörung im Bundestags-Rechtsausschuss erläutert. Am 16.12.2022 hat der Bundestag das Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. Da es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, muss ihm auch der Bundesrat zustimmen. In der Plenarsitzung am 10.02.2023 erhält das Gesetz dort aber nicht die notwendige absolute Mehrheit, da Länderregierungen mit CDU/CSU-Beteiligung ihm die Zustimmung verweigern. Daraufhin reicht die EU-Kommission Klage gegen Deutschland und sieben andere Mitgliedsstaaten wegen Nicht-Umsetzung der EU-Richtlinie ein.
Am 17.3.2023 haben die Ampel-Fraktion in zwei neue Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, zu denen am 27.3.2023 eine Öffentliche Anhörung im Bundestags-Rechtsausschuss stattfindet und die am 30.03.2023 vom Bundestag verabschiedet werden sollen. Der erste Entwurf nimmt Beamt*innen der Bundesländer vom persönlichen Anwendungsbereich aus. Auf die Art könnte das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet werden. Wie die Ampel-Fraktionen zurecht erkannt haben, ist eine derartige Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs aber nicht mit der EU-Whistleblowing-Richtlinie vereinbar. Ein zweiter Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen sieht diese Regelung nicht vor und bedarf somit wiederum der Zustimmung des Bundesrats.
Einen Überblick über die Entwicklung in anderen EU-Ländern findet man hier: www.whistleblowingmonitor.eu.
Pressemitteilungen, Stellungnahmen, Gesetzentwürfe
Timeline zur nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie
In untenstehender Timeline haben wir die wichtigsten Meilensteine und Stellungnahmen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur Umsetzung der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie in Deutschland gesammelt. Diese Liste wird fortlaufend aktualisiert. Sollte Ihnen dennoch ein Eintrag fehlen, freuen wir uns über einen Hinweis an zittel@whistleblower-net.de.
Einen Überblick über den europaweiten Umsetzungsstand gibt das EU Whistleblowing-Meter.
30.03.2023 Abstimmung nach 2./3. Lesung im Bundestag über Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen
Bundestags-Meldung27.03.2023 Öffentliche Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zu den neuen Gesetzesentwürfen
Zur Anhörung17.03.2023 Ampel-Fraktionen bringen zwei neue Gesetzesentwürfe in den Bundestag ein
Bundestags-Kurzmeldung15.02.2023 EU-Kommission verklagt Deutschland vor dem EuGH
WBN-Pressemitteilung10.02.2023 Bundesrat blockiert (zustimmmungspflichtiges) Hinweisgeberschutzgesetz
WBN-Pressemitteilung25.01.2023 Rechtsausschuss des Bundesrats empfiehlt Plenum Zustimmung zum Hinweisgeberschutzgesetz
Beschlussempfehlung16.12.2022 Bundestag verabschiedet Hinweisgeberschutzgesetz
WBN-Pressemitteilung inkl. Gesetz14.12.2022 Hinweisgeberschutzgesetz passiert Bundestags-Rechtsausschuss
Bundestags-Kurzmeldung30.11.2022 NGOs stellen Selbstverpflichtung zum Whistleblowerschutz vor
Pressemitteilung17.11.2022 Justizminister Buschmann verkündet Vertagung des Gesetzes auf das 1. Halbjahr 2023
Bericht auf LinkedIn19.10.2022 Öffentliche Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zum Hinweisgeberschutz
Zur Anhörung29.09.2022 Erste Bundestagslesung beschließt Überweisung an Ausschüsse
Tagesordnung (TOP 20)28.09.2022 Bundestags-Rechtsausschuss beschließt über die Durchführung einer öffentlichen Anhörung
Tagesordnung (TOP 3)28.09.2022 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats
Gegenäußerung16.09.2022 Stellungnahme des Bundesrats
Stellungnahme05.09.2022 Uneinheitliches Votum der Ausschüsse des Bundesrats
Empfehlungen der Ausschüsse28.07.2022 Presseerklärung von WBN zum Regierungsentwurf
Presserklärung27.07.2022 Kabinett verabschiedet Regierungsentwurf
Regierungsentwurf11.05.2022 Stellungnahme Martin Porwoll zum Referentenentwurf
Stellungnahme11.05.2022 Zahlreiche Stellungnahmen fordern Nachbesserungen am Referentenentwurf
Stellungnahmen Verbändeanhörung11.05.2022 Stellungnahme zum Referentenentwurf von WBN und WIN
Pressemitteilung mit Stellungnahme05.04.2022 BMJ gibt Gesetzentwurf in Ressortabstimmung
Gesetzentwurf27.01.2022 EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen 23 Mitgliedsstaaten ein
WBN-Pressemitteilung17.12.2021 Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie ist abgelaufen – nun gilt die Direktwirkung
Wie wirkt die Direktwirkung der EU-Richtlinie: Zur Pressemitteilung24.11.2021 Der Koalitionsvertrag enthält einen Passus zu Whistleblowing
Koalitionsvertag 2021 #Whistleblowing03.11.2021 Die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland (IFK) fordert besseren Schutz für Whistleblower
Zur Resolution der IFK28.04.2021 Die Gespräche der Koalition über einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sind geplatzt, Union und SPD konnten auf keinen gemeinsamen Nenner kommen
Zur Pressemitteilung von Transparency International, der Gesellschaft für Freiheitsrechte und dem WBN01/02.2021 BDA-Positionspapier fordert verfassungs- und unionsrechtswidrige Richtlinien-Umsetzung
Zum BDA-Positionspapier und zur WBN-Replik15.12.2020 SPD-Bundestagsfraktion will Whistleblower umfassend schützen – solange sie nicht beim Geheimdienst arbeiten
Zum Positionspapier und der WBN-Kommentierung11/12.2020 Bundesjustizministerium legt Ressorts Gesetzesentwurf vor
Zum Referentenentwurf19.11.2020 Justizministerin Christine Lambrecht kündigt umfassenden Schutz von Hinweisgebern an
Zum Artikel23.10.2020 Ein Jahr EU-Whistleblowing-Richtlinie und kein Fortschritt sichtbar – Positionspapier von Whistleblower-Netzwerk und Reporter ohne Grenzen
Zu Pressemitteilung und Positionspapier10.08.2020 DGB-Gutachten zur Richtlinie: Whistleblower besser schützen – wann, wenn nicht jetzt?
Zu Pressemitteilung und Gutachten05.08.2020 Breite Koalition von Organisationen fordert Bundesregierung auf, Richtlinie umfassend umzusetzen
Zum offenen Brief17.04.2020 Whistleblower-Netzwerk kritisiert Eckpunktepapier des BMWi zur nationalen Richtlinien-Umsetzung
Zur Pressemitteilung30.01.2020: Bundestag lehnt AfD-Antrag auf Subsidiaritätsklage gegen Whistleblower-Richtlinie ab
Zur Bundestagsdebatte13.12.2019: Grünen-Bundestagsfraktion setzt sich für umfassende nationale Umsetzung der EU-Richtlinie ein
Zur Stellungnahme (mit Video)26.11.2019: Mit der Veröffentlichung im Offiziellen Amtsblatt der EU beginnt die nationale Umsetzungsfrist bis zum 17.12.2021
Zur Veröffentlichung im Amtsblatt21.11.2019: Ex-EuGH-Richterin Colneric bekräftigt Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing
Zum Redemanuskript21.11.2019: Workshop von Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland identifiziert „Knackpunkte" bei Umsetzung der EU-Richtlinie
Zum Blog-Beitrag08.11.2019: Grünen-Bundestagsfraktion stellt Kleine Anfrage zu bisherigen Erfahrungen mit externen Meldestellen in Deutschland
Zur Kleinen Anfrage07.11.2019: Justizministerkonferenz der Bundesländer verlangt Ausweitung des Geltungsbereichs der EU-Richtlinie auf nationale Kompetenzbereiche
Zur Stellungnahme04.11.2019: Grünen-Bundestagsfraktion stellt Kleine Anfrage zu Whistleblowerschutz als Voraussetzung für die Förderung von Spitzensportverbänden
Zur Kleinen Anfrage11.10.2019: Herbert Prantl spricht sich in der SZ für expansive Umsetzung der EU-Richtlinie aus
Zum Artikel09.10.2019: dbb plädiert für Beibehaltung des Dienstweges im Öffentlichen Dienst
Zur Pressemitteilung07.10.2019: Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland fordern Ausweitung des Geltungsbereichs der EU-Richtlinie auf nationale Kompetenzbereiche
Zur Pressemitteilung07.10.2019: EU-Richtlinie durch Europäisches Parlament und Europäischen Rat endgültig verabschiedet
Zur Pressemitteilung15.09.2019: BDI hält Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing für Misstrauenssignal an Unternehmen
Zur Stellungnahme12.09.2019: Siemens-Finanzvorstand befürchtet Missbrauch von Whistleblowerschutz
Zum Artikel30.08.2019: Europarat (ALDE) spricht sich für mehr Unterstützung von Whistleblowern aus
Zur Stellungnahme01.05.2019: EU-Richtlinie schafft Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing. Klarstellung durch ehemalige EuGH-Richerin Colneric in: Neue Juristische Wochenschrift 19/2019
Zum Blogbeitrag17.04.2019: Verband für Fach- und Führungskräfte (DFK) fordert Schutz für fälschlicherweise Beschuldigte
Zur Pressemitteilung16.04.2019: Whistleblower-Netzwerk und Transparency Deutschland fordern umfassendes Hinweisgeberschutzgesetz
Zur Pressemitteilung16.04.2019: Europäisches Parlament verabschiedet EU-Richtlinie mit großer Mehrheit
Zur verabschiedeten Richtlinie15.03.2019: Rat der EU bestätigt Einigung mit Europäischem Parlament
Zur Pressemitteilung13.03.2019: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) lobt Gleichrangigkeit von Meldewegen
Zur Pressemitteilung12.03.2019: DGB begrüßt Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing
Zur Pressemitteilung11.03.2019: Rat der EU, Kommission und Parlament einigen sich auf Richtlinie zum Whistleblowerschutz
Zur PressemitteilungEine Zeitleiste zum Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene finden Sie auch auf der Website der EU.