FAQ Whistleblowing-Richtlinie

Im Oktober 2019 hat die Europäische Union die Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen verabschiedet, die in ihrem Arbeitsumfeld Verstöße gegen geltendes EU-Recht melden.  Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der EU-Richtlinie durch die Verabschiedung eines Hinweisgeberschutzgesetzes am 12. Mai 2023 mit anderthalbjähriger Verspätung umgesetzt.

1. Kann ich mich als Whistleblower jetzt schon auf die Richtlinie berufen?

Nein. Die Whistleblowing-Richtlinie muss – wie alle europäischen Richtlinien – grundsätzlich erst noch vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden. Die Umsetzungsfrist läuft bis zum 17.12.2021.

2. In welchen Bereichen ist Whistleblowing durch die Richtlinie geschützt?

Die Richtlinie betrifft Hinweise über Verstöße gegen eine Vielzahl europäischer Rechtsakte und ihre nationalen Umsetzungsnormen. Darüber hinaus sind auch Hinweise über zukünftige Verstöße erfasst, sofern diese sehr wahrscheinlich sind, sowie über rechtsmissbräuchliches Verhalten, wenn dieses dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften zuwiderläuft.
Zu den erfassten Rechtsgebieten zählen unter anderem:

  • Öffentliches Auftragswesen, inklusive der Vergabe staatlicher Konzessionen
  • Binnenmarktregulierung, inklusive Wettbewerbs-, Beihilfen- und Körperschaftssteuerrecht
  • Regulierung des Finanzdienstleistungssektors, inklusive der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
  • Produkt-, Verkehrs- und Lebensmittelsicherheit
  • Umweltrecht
  • Gesundheitsrecht
  • Verbraucherschutzrecht
  • Datenschutzrecht

Nicht erfasst sind demgegenüber unter anderem:

  • Angelegenheiten der nationalen Sicherheit
  • Europäisches Arbeitsschutzrecht
  • Verschlusssachen

3. Wie sind Whistleblower geschützt, wenn sie nicht unter die Richtlinie fallen?

Die meisten Whistleblowing-Sachverhalte fallen nach wie vor in die Kompetenz des deutschen Gesetzgebers, ohne dass die Europäische Union diesem direkte Vorgaben machen könnte. Der Schutz von Whistleblowern nach deutschem Recht ist bislang hoch defizitär und unsicher. Deswegen setzt sich Whistleblower-Netzwerk mit Nachdruck dafür ein, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie ein einheitliches Whistleblower-Schutzgesetz erlässt, das sich auch auf nationale Sachverhalte erstreckt und damit allen Whistleblowern ein gleichwertiges Schutzniveau garantiert.

FAQs zum Schutz nach deutschem Recht

4. Wer ist durch die Whistleblowing-Richtlinie geschützt?

Die Richtlinie schützt eine Vielzahl von Whistleblowern im privaten und öffentlichen Sektor, die in ihrem beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben.

Dies umfasst unter anderem:

  • Arbeitnehmer (aktuelle, ehemalige und Bewerber)
  • Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes
  • Selbstständige und Vertragsunternehmer
  • Praktikanten
  • Anteilseigner
  • Mitglieder von Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen eines Unternehmens
  • Unterstützer und Verwandte von Whistleblowern

Nicht geschützt sind demgegenüber insbesondere Ärzte und Rechtsanwälte, sofern sie durch das Whistleblowing ihre beruflichen Verschwiegenheitspflichten verletzen würden.

5. Welchen konkreten rechtlichen Schutz gewährt die Whistleblowing-Richtlinie?

Die Richtlinie verbietet jegliche Art von Repressalien, die aufgrund des Whistleblowings gegen den Whistleblower vorgenommen werden.
Hierzu zählen unter anderem:

  • Kündigung, Suspendierung und Nichtverlängerung befristeter Arbeitsverträge
  • Vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen
  • Herabstufung oder Versagung einer Beförderung
  • Aufgabenverlagerung, Änderung von Arbeitsort oder -zeit, Gehaltsminderung
  • Disziplinarmaßnahmen, Rügen und sonstige Sanktionen
  • Nötigung, Einschüchterung, Mobbing und Ausgrenzung
  • Rufschädigungen, insbesondere in den sozialen Medien
  • Erfassung des Hinweisgebers auf einer „schwarzen Liste“ mit der Folge, dass der Whistleblower sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet
  • Psychiatrische oder ärztliche Überweisungen

Gegen alle diese Repressalien steht dem Whistleblower ein eigenständiger Abwehranspruch zu. Die Beweislast, dass eine Maßnahme nicht wegen des Whistleblowings, sondern aus einem anderen, legitimen Grund getroffen wurde, liegt allein beim Arbeitgeber bzw. Dienstherrn.

Darüber hinaus sind dem Whistleblower Schadenersatzansprüche zur Kompensation materieller und immaterieller Schäden zu gewähren. Dies umfasst den Ersatz wirtschaftlicher Nachteile ebenso wie gegebenenfalls die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.

6. Muss der Whistleblower einen Verstoß beweisen können, um Schutz zu erhalten?

Nein. Der Whistleblower muss zum Zeitpunkt des Hinweises lediglich hinreichenden Grund zu der Annahme gehabt haben, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen. Lassen sich die Verstöße im Anschluss nicht beweisen, geht dies also nicht zulasten des Whistleblowers. Lediglich bei wissentlichen oder leichtfertigen Falschmeldungen versagt die Richtlinie ihren Schutz. In diesem Fall hat der „Whistleblower“ unter Umständen auch mit Sanktionen und anderen negativen rechtlichen Konsequenzen zu rechnen.

7. Ist es wichtig, aus welchen Motiven der Whistleblower handelt?

Nein. Im Gegensatz zum bisherigen deutschen Recht hat die Richtlinie bewusst darauf verzichtet, den Whistleblower einer Motivprüfung zu unterziehen. Hierdurch soll vermieden werden, dass dem Whistleblower in unvorhersehbarer Weise der Schutz versagt wird, weil ein Gericht nachträglich der Meinung ist, dass dessen Beweggründe nicht lobenswert genug waren.

8. Wird Whistleblowern der Schutz versagt, wenn sie auf illegalem Weg an ihre Informationen gelangt sind?

Das kommt auf den Einzelfall an. Hat der Whistleblower gegen selbstständige Straftatbestände verstoßen, etwa durch Hausfriedensbruch oder Hacking, kann er für diese Taten nach wie vor grundsätzlich zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits sind Whistleblower auch dann geschützt, wenn sie bei Erlangung der Informationen gegen sonstige Normen oder ihre vertraglichen Befugnisse verstoßen haben. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn sich ein Whistleblower unbefugt in ein anderes Büro begibt, um beweisfähige Unterlagen zu kopieren.

9. An welche Adressaten darf sich der Whistleblower mit seinen Informationen wenden?

Die Richtlinie stellt es dem Whistleblower ausdrücklich frei, ob er sich zuerst an eine unternehmens- bzw. verwaltungsinterne Stelle wendet oder seine Informationen gleich an eine externe Behörde weitergibt. Um Whistleblowern einen kompetenten Ansprechpartner zu geben, sind in Zukunft in vielen Bereichen des privaten und öffentlichen Sektors interne Meldekanäle einzurichten (siehe Frage 10), zudem muss der Staat externe Meldekanäle in Gestalt von spezialisierten Whistleblowing-Behörden etablieren.

Eine Offenlegung von Verstößen gegenüber den Medien bzw. der Öffentlichkeit gestattet die Richtlinie hingegen nur unter bestimmten Bedingungen, namentlich wenn:

  • der interne oder externe Adressat dem Whistleblower innerhalb von drei Monaten keine Rückmeldung über die Einleitung ordnungsgemäßer Folgemaßnahmen gibt;
  • der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellt, z.B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens;
  • der Whistleblower auch im Falle einer externen Meldung Repressalien zu befürchten hat;
  • Beweismittel andernfalls unterdrückt oder vernichtet werden könnten;
  • die zuständige Behörde am Verstoß beteiligt ist oder unzulässige Absprachen zwischen der Behörde und dem Urheber des Verstoßes bestehen könnten.

Da diese Bedingungen nur in sehr seltenen Fällen vorliegen werden, setzt sich Whistleblower-Netzwerk aktiv für eine Liberalisierung der Zulässigkeit von Offenlegungen ein.

Ein Beitrag hierzu von RA Benedikt Hopmann: „Das Recht Missstände im Betrieb öffentlich zu machen“

10. Welche Organisationen sind in Zukunft verpflichtet, interne Whistleblowing-Stellen einzurichten?

Die Richtlinie verpflichtet grundsätzliche alle juristischen Personen des privaten und öffentlichen Sektors, geeignete Kanäle und Verfahren für interne Meldungen und für Folgemaßnahmen einzurichten, sofern sie 50 oder mehr Mitarbeiter haben. Eine Ausnahme kann lediglich für Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern gemacht werden. Die Einrichtungspflicht ist unabhängig von der jeweiligen Rechtsform der juristischen Person, gilt also für beispielsweise für Kapitalgesellschaften ebenso wie für Vereine.

Juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern sowie Gemeinden dürfen ihre Ressourcen bündeln und gemeinsame Whistleblowing-Stellen einrichten. Darüber hinaus haben juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern zwei Jahre länger bis zum 17.12.2023 Zeit, um ihre internen Whistleblowing-Stellen zu etablieren.

Richten die erfassten Organisationen eine interne Whistleblowing-Stelle ein, müssen sie hierbei verschiedene Mindeststandards einhalten.

So sind speziell befugte Mitarbeiter zu benennen und insbesondere zu verpflichten, die Identität des Whistleblowers grundsätzlich vertraulich zu behandeln, sofern sie nicht ausnahmsweise durch eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht zur Weitergabe der Identität gezwungen sind, beispielweise um die Verteidigungsrechte einer beschuldigten Person im Rahmen von Strafverfahren zu gewährleisten. Außerdem muss der Inhalt eines Hinweises vollständig und genau dokumentiert werden.

Wendet sich ein Whistleblower an eine interne Whistleblowing-Stelle, ist diese nach der Richtlinie verpflichtet, dem Whistleblower innerhalb einer Frist von sieben Tagen den Eingang des Hinweises zu bestätigen. Innerhalb von drei Monaten müssen ordnungsgemäße Folgemaßnahmen ergriffen und der Whistleblower hierüber in Kenntnis gesetzt werden. Bei alledem ist laufender Kontakt mit dem Whistleblower zu halten, sind gegebenenfalls Rückfragen zu stellen und auf Anfrage persönliche Treffen zu ermöglichen.

Hingegen stellt es die Richtlinie den juristischen Personen frei, welche Art von Meldekanälen sie einrichten wollen, namentlich, ob diese mündlich, schriftlich oder elektronisch erreichbar sind. Ob auch anonyme Meldungen zugelassen und hierfür spezielle Meldekanäle eingerichtet werden sollen, hat die Europäische Union in das Ermessen des deutschen Gesetzgebers gestellt.

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