Abschlusserklärung: Per Gesetz jetzt alles besser? Mitnichten!

Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz hat der deutsche Gesetzgeber am 2. Juli 2023 die Ende 2019 in Kraft getretene EU-Whistleblowing-Richtlinie umgesetzt. Es ist ein Fortschritt, ausreichend ist es bei weitem nicht. Der eingeschränkte sachliche Anwendungsbereich und die restriktiven Vorgaben für Offenlegungen haben zur Folge, dass Whistleblower in vielen Fällen ungeschützt bleiben. Das Fehlen eines Schmerzensgeldanspruchs und eines Unterstützungsfonds führen dazu, dass der Gesetzgeber Whistleblower mit der Bewältigung der persönlichen Folgen weitgehend allein lässt.

Warum diese Mängel so schwerwiegend für Whistleblower sind, hat eine exemplarische Auswertung der vier Whistleblower-Fälle von Martin Porwoll (ehem. Kaufmännischer Leiter einer Bottroper Zyto-Apotheke), Erwin Bixler (ehem. Revisor des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland), Rudolf Schmenger (ehem. Frankfurter Steuerfahnder) und Friedhelm Brors (ehem. Personaler bei Mannesmann) bei einer öffentlichen Veranstaltung am 10.11.2023 verdeutlicht.* Alle vier waren von dem Wunsch getrieben, gravierende Missstände in ihrem beruflichen Umfeld abzustellen. Sie wollten verhindern, dass

  • weitere Menschen zu Schaden kommen, weil, wie im Fall des von Martin Porwoll 2016 aufgedeckten Skandals, ein Bottroper Apotheker Zytostatika für tausende Krebspatient*innen unterdosierte oder weil, wie im Fall von Friedhelm Brors, die Hüttenwerke Krupp Mannesmann Anfang der 1990er Beschäftigte zu einer für sie unvorteilhaften Frühverrentung drängten;
  • sich Großverdiener*innen ihrer Steuerpflichten entziehen, weil, wie im Fall von Rudolf Schmenger, die Verfolgung von Steuerhinterziehung 2001 durch eine Amtsverfügung erschwert wird;
  • Steuermittel und Sozialversicherungsbeiträge verschwendet werden, weil, wie von Erwin Bixler enthüllt, Vermittlungszahlen von Arbeitslosen manipuliert werden oder weil, wie im o.g. Fall von Friedhelm Brors, EU-Beihilfen zweckwidrig verwendet werden.
Ausweitung des Schutzbereichs für Whistleblower

Die von ihnen aufgedeckten Missstände wurden durch staatliche Regelungs- und Kontrolllücken ermöglicht und waren zumindest teilweise legal. Bei der Meldung von gravierenden Missständen und schwerwiegendem Fehlverhalten unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße können sich Whistleblower jedoch nicht auf den Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes berufen. Zudem können Behörden brisante Informationen durch die Einstufung als Verschlusssachen weitgehend gegen Whistleblowing immunisieren. Der staatliche Geheimschutzbereich, Nachrichtendienste und Angelegenheiten der nationalen Sicherheit sind weitgehend pauschal vom Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ausgenommen.

In derartigen Fällen können Whistleblower allenfalls Vorgesetzte auf die Missstände aufmerksam machen. O.g. Fällen zeigen, dass diese häufig kein Interesse an Abhilfe haben. Teilweise, weil sie fürchten, als Führungskräfte persönliche (Mit-)Verantwortung für den Missstand übernehmen zu müssen. Teilweise, weil ihre Arbeitgeber oder diesen nahestehende Unternehmen, Organisationen, Personen etc. von dem Missstand profitieren. Als Rudolf Schmenger, Erwin Bixler und Friedhelm Brors die Probleme (wie die meisten Whistleblower) zunächst intern thematisierten, wurde versucht, sie mundtot zu machen. Erst als die Vorwürfe an die Öffentlichkeit kamen, wurde ihnen nachgegangen. Der von Rudolf Schmenger aufgedeckte Steuerskandal führte zu zwei Untersuchungsausschüssen des hessischen Landtags. Im Nachgang zu den Meldungen von Erwin Bixler wurde die Behördenstruktur der Arbeitsmarktförderung grundlegend umgebaut und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Die Verabschiedung des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) und die damit einhergehende erhöhte Kontrolldichte von Apotheken wurde mit den Enthüllungen von Martin Porwoll begründet. Umso bedauerlicher, dass das Hinweisgeberschutzgesetz Whistleblower bei Offenlegungen nur schützt, wenn nicht-öffentliche Meldekanäle nicht reagieren oder wenn eine „unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses“ droht (§32 HinSchG).

WBN fordert daher v.a. folgende Nachbesserungen am Hinweisgeberschutzrecht:

  • Schutz für die Offenlegung von erheblichen Missständen, deren Aufdeckung im Interesse der demokratischen Öffentlichkeit liegt
  • Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs des Hinweisgeberschutzgesetzes auf gravierende Missstände und erheblichesFehlverhalten unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße sowie auf behördliche Verschlusssachen
Umfangreichere Entschädigungs- und Unterstützungsleistungen

Wie viele andere haben die vier o.g. Whistleblower für ihre Zivilcourage einen hohen Preis gezahlt. Sie waren Mobbing ausgesetzt und mussten um ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz fürchten. Martin Porwoll wurde unter einem Vorwand fristlos entlassen und wartet bis heute auf die vor Gericht vereinbarte Abfindung. Erwin Bixler erhielt deutlich schlechtere dienstliche Beurteilungen. Wie Friedhelm Brors wurde er versetzt. Rudolf Schmenger wurde 2006 aufgrund eines vorsätzlich falschen psychiatrischen Gutachtens zwangspensioniert und erst 2015 letztinstanzlich rehabilitiert. Beispiele wie diese schrecken andere potenzielle Whistleblower von einer Meldung ab.

Das Hinweisgeberschutzgesetz verbietet Repressalien gegen Whistleblower zwar, gänzlich verhindern können wird es sie nicht. Auch in obigen Fällen haben Arbeitgeber andere Gründe vorgeschoben, um Whistleblower zu drangsalieren. Viele Whistleblower werden ihre Ansprüche in einem mühseligen Rechtsstreit erkämpfen müssen, was zusätzlichen finanziellen und psychischen Druck bedeutet. Ein Arbeitgeber kann dort seine wirtschaftlichen und strukturellen Vorteile ausspielen und versuchen, den Whistleblower zu zermürben. Ersetzt werden dem Whistleblower allenfalls die Vermögensschäden. Ein Schmerzensgeld für die psychischen Belastungen sieht das Gesetz nicht vor und verstößt damit gegen die Vorgaben der EU-Whistleblowing-Richtlinie. (s. S. 50ff der Beschwerde von WBN bei der Europäischen Kommission). Zudem machen die Verwerfungen mit seinem Arbeitgeber einen Verbleib an der bisherigen Arbeitsstelle für Whistleblower meist unmöglich. In ihrer Branche gelten sie als verbrannt und haben Schwierigkeiten dort wieder eine Arbeitsstelle zu finden. Es ist enttäuschend, dass das Hinweisgeberschutzgesetz Whistleblower mit der Bewältigung dieser persönlichen Folgen weitgehend allein lässt. Der Aufforderung des Bundestags an die Bundesregierung finanzielle Unterstützungsangebote für Whistleblower zu prüfen, sind bislang keine Taten gefolgt (Beschluss vom 16.12.2022).

WBN fordert daher folgende Nachbesserungen am Hinweisgeberschutzrecht:

  • Schmerzensgeldanspruch zum Ausgleich für die typischerweise schweren psychischen Belastungen
  • Etablierung eines Unterstützungsfonds für Whistleblower zur Finanzierung rechtsberatender, psychologischer und kompensatorischer Leistungen

Leistungen eines derartigen Fonds könnten z.B. sein:

  • Zuschüsse für Rechtanwaltskosten
  • Unbürokratische Soforthilfen, v.a. zur Linderung der infolge des Whistleblowings kurzfristig auftretenden finanziellen Engpässe
  • (Mit-)Finanzierung von Therapie- und Erholungsmaßnahmen zur Bewältigung der gesundheitlichen Belastungen
  • Zuschüsse für Weiterbildung, Umzüge und zum Ausgleich von Einkommensausfällen zur Ermöglichung eines beruflichen Neustarts.
  • Entschädigungsleistungen in Fällen, in denen Whistleblower geringe Chancen haben, diese vom Verursacher zu erhalten, z.B. wegen dessen Insolvenz (wie im Fall von Martin Porwoll) oder weil die Missstände zwar gravierend sind, aber aufgrund von Regelungslücken nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen.
Fazit

Durch eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs, Erleichterung von Offenlegungen und umfangreichere Entschädigungs- und Unterstützungsleistungen würde der Gesetzgeber Whistleblower besser vor Repressalien schützen und ihnen bei der Bewältigung der persönlichen Folgen helfen. Das wiederrum würde Whistleblower ermutigen, Missstände aufzudecken und bei etwaigen Repressalien, ihre Rechtsansprüche geltend zu machen. Die Rechtsdurchsetzung und der demokratische Diskurs würden so gestärkt.

 

* Diese Abschlusserklärung ist das Ergebnis der öffentlichen Gesprächsveranstaltung „Per Gesetz jetzt alles besser“ am 10.11.2023 mit den vier Whistleblowern Erwin Bixler, Martin Porwoll, Rudolf Schmenger und Friedhelm Brors. Martin Porwoll enthüllte 2016 als kaufmännischer Leiter einer Bottroper Apotheke die Unterdosierung von individuell hergestellten Zytostatika für mehreren tausend Krebspatient*innen durch seinen Arbeitgeber. Der Frankfurter Steuerfahnder Rudolf Schmenger wehrte sich Anfang der 2000er gegen eine Amtsverfügung, die die Aufnahme von Ermittlungen gegen Großbanken erschwerte. Erwin Bixler deckte 1998 als Revisor beim Landesarbeitsamt Rheinland-Pfalz-Saarland manipulierte Vermittlungszahlen von Arbeitslosen auf. Von Friedhelm Brors erfuhr die Öffentlichkeit, wie die Hüttenwerke Krupp Mannesmann Anfang der 1990er unter falschen Voraussetzungen staatliche Beihilfen für die Frühverrentung von Beschäftigten erhielt.

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