Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen Deutschland

Mit dem am 2. Juli in Kraft getretenem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) hat die Bundesrepublik Deutschland die EU-Hinweisgeberschutz-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Das Gesetz verstößt in 12 Punkten gegen die Vorgaben der EU-Richtlinie und insoweit überwiegend auch gegen Art.11 EU-Charta der Grundrechte (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit). Whistleblower-Netzwerk (WBN) hat daher eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht.

Die Europäische Kommission prüft die Beschwerde und entscheidet, ob sie gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Bereits seit Anfang 2022 läuft ein Vertragsverletzungsverfahren und seit März 2023 eine Klage gegen Deutschland, weil die Hinweisgeberschutz-Richtlinie nicht fristgerecht zum 17. Dezember 2021 umgesetzt worden war.

In seiner Beschwerde hat WBN u.a. auf folgende Umsetzungsmängel hingewiesen:

  • Offenlegung: Das Hinweisgeberschutzgesetz enthält ein Verbot der Offenlegung unrichtiger Informationen, das die Schutzvoraussetzungen der Richtlinie nicht berücksichtigt und dadurch abschreckend auf potentielle Whistleblower wirkt.
  • Offenlegung: Entgegen der Richtlinie dürfen Hinweisgeber Informationen über Verstöße nach dem HinSchG insbesondere selbst dann nicht offenlegen, wenn nur geringe Aussichten bestehen, dass die zuständigen Ermittlungsbehörden wirksam gegen einen Verstoß vorgehen werden.
  • Wahlfreiheit zwischen interner und externer Meldung: Das HinSchG vermittelt den falschen Eindruck, dass sich Hinweisgeber, die einen Verstoß zuerst intern gemeldet haben, nur dann an staatliche Stellen wenden dürfen, wenn dem Verstoß intern nicht abgeholfen wurde.
  • Immaterielle Schäden: Das HinSchG enthält entgegen der Richtlinie keinen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden, insbesondere kein Schmerzensgeld wegen der typischerweise schweren psychischen Belastungen für Hinweisgeber.
  • Unvollständige Wiedergutmachung sonstiger Schäden: Obwohl die Hinweisgeberschutz-Richtlinie eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens vorschreibt, enthält das HinSchG eine Ausnahmeklausel, wonach ein Verstoß gegen das Verbot von Repressalien keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses oder eines anderen Vertragsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg begründet.
  • Meldestellen: Laut der EU-Richtlinie müssen alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors ab 50 Mitarbeitern eine Meldestelle einrichten. Nach dem HinSchG wird hingegen der Staat ermächtigt festzulegen, welche Organisationseinheiten Meldestellen einrichten müssen.

WBN appelliert an Bundestag und Bundesregierung, die Beschwerden so rechtzeitig zu bearbeiten, dass es nicht erneut zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt. Darüber hinaus sollte bei der anstehenden Novellierung des HinSchG die Chance ergriffen werden, jene Nachbesserungen aufzugreifen, die der Bundestag in seinem Beschluss vom 16.12.2022 gefordert hat.

WBN hat bereits im Verlauf des langwierigen Gesetzgebungsprozess für eine Verbesserung des Schutzniveaus für Whistleblower plädiert. Dabei geht es insbesondere um Schutz auch bei Hinweisen auf gravierende Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, um Erleichterung von Offenlegungen gegenüber den Medien, Streichung der weitgehend pauschalen Ausnahmen vom Anwendungsbereich für den staatlichen Geheimschutzbereich und um einen Unterstützungsfonds für Whistleblower.

„Whistleblower umfassend zu schützen bedeutet auch, die Versorgung der Gesellschaft mit zutreffenden Informationen zu ermöglichen, wo Skandale unter den Teppich gekehrt werden oder etwa künstliche Intelligenz Täuschungen produziert“, sagt Annegret Falter, Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk.

Die vollständige Beschwerde von Whistleblower-Netzwerk finden Sie hier. Aus formalen Gründen musste sie über das Beschwerdeformular der Europäischen Kommission eingereicht und in eine Rahmenbeschwerde und zwölf Einzelbeschwerden aufgeteilt werden.

Aktualisierung: Am 20.10.2023 hat Whistleblower-Netzwerk eine weitere (13.) Einzelbeschwerde eingereicht. 

Weitere Informationen

Kontakt:

WBN – Whistleblower-Netzwerk e.V.
Annegret Falter, Vorsitzende
falter@whistleblower-net.de
Tel: +49 170 2965660

Kosmas Zittel, Geschäftsführer
zittel@whistleblower-net.de
Tel: +49 176 84915150

Unser Newsletter

Wollen Sie über Neuigkeiten auf dem Laufenden gehalten werden?

Unterstützen Sie uns!