Zwischen den Jahren

Wir wissen, dass wir das Leid der Angehörigen der Opfer nicht wiedergutmachen können. Aber ihnen und uns gemeinsam sind wir es schuldig, die Taten umfassend aufzuklären und alle Beteiligten, auch die Helfershelfer, zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist unsere Pflicht, die Werte unserer offenen und freiheitlichen Gesellschaft entschlossen zu verteidigen – jederzeit und gegen jede Form von Gewalt. Das ist eine Daueraufgabe – für die Politik wie für uns alle.

So manche Whistleblowerin und so mancher Whistleblower hätten sich gewünscht, dass jene Worte aus der Neujahrsansprache der Kanzlerin auch auf sie bezogen wären. Sie wünschten: Dass in Deutschland Whistleblower nicht länger als Nestbeschmutzer diffamiert würden. Dass es mehr Ansprechpartner gäbe, an die man sich mit Fragen und Hinweisen bezüglich möglicher Rechtsbrüche wenden könnte. Dass diese Ansprechpartner und Ermittlungsbehörden – wie z.B. die Staatsanwaltschaften in den meisten anderen Staaten Europas – unabhängig wären. Dass die zuständigen Stellen den Hinweisen unbefangen und gründlich nachgehen würden – auch dann, wenn die Vorwürfe zunächst unglaublich klingen, weil sie sich gegen wohlangesehene Wirtschaftslenker oder hohe und höchste Staatsdiener richten.
Dann, hätte es vielleicht auch bei der Polizei und in den Verfassungsschutzämtern frühzeitig Whistleblower gegeben, die schon vor Jahren erfolgreich hätten einfordern können, dass beim rechten Terror – und auf diesen bezieht sich die Kanzlerin im Eingangszitat – nicht länger bezahlt und weggeschaut wird. So aber wurden die wenigen Whistleblower, die es gab, wie z.B. Sven Gratzik und seine beiden Kollegen, die beim LKA Sachsen-Anhalt gegen Neo-Nazis vorgingen, zurückgepfiffen und ins Puppentheater versetzt.
Whistleblower-Netzwerk e.V. nimmt sich der von der Kanzlerin beschriebenen Daueraufgabe an. Wir bieten auch eine Antwort auf ihre Frage “ Wie lernen wir als Gesellschaft?“: In dem wir hinschauen, Whistleblowern zuhören, ihre Hinweise prüfen und wo nötig Konsequenzen daraus ziehen. In dem wir Whistleblowern eine bestmögliche Chance geben, Veränderungen von Missständen anzustoßen, ohne selbst dabei zu Schaden zu kommen.
Für dieses Ziel haben wir auch 2011 gearbeitet: Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner, dem Dok-Zentrum AnsTageslicht.de haben wir die Geschichte von Sven Gratzik und seiner Kollegen und mehr als zwanzig weitere Whistleblowerfälle in unserer Ausstellung „Whistleblowing – Licht ins Dunkel bringen!“ dokumentiert und präsentiert. Im Auftrag der Hans Böckler Stiftung haben wir in einer Studie interne Whistleblowing-Systeme in der deutschen Wirtschaft untersucht und ein detailliertes Gestaltungsraster entwickelt, wie Unternehmen in transparenter Weise und im Dialog mit ihren Mitarbeitern internes Whistleblowing fördern und als Frühwarnsystem nutzen können. Wir haben die Diskussion um die Notwendigkeit effektiven gesetzlichen Whistleblowerschutzes national und international eingefordert und konstruktiv begleitet und auch 2011, soweit dies mit unseren bescheidenen Mitteln möglich, war einzelne Whistleblowerinnen und Whistleblower unterstützt.
Erfolge blieben dabei nicht aus: Unser Vorstandsmitglied Brigitte Heinisch hat ein bedeutsames Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erreicht. Unsere Arbeit wurde international wahrgenommen und gewürdigt, sowohl bei NGOs und im neu gegründete WIN (Whistleblowing International Network) als auch bei der OECD und den G20-Staaten. Wir stehen auch im Dialog mit der Wissenschaft und der Politik und auch die Medien greifen unsere Themen und Vorschläge immer mal wieder auf. In Deutschland haben wir es mittlerweile immerhin erreicht, dass sich alle Oppositionsfraktionen im Bundestag für gesetzlichen Whistleblowerschutz aussprechen. Bis zur Umsetzung unseres eigenen Gesetzesentwurfs ist es zwar noch
ein weiter Weg, aber wir wollen auch zukünftig das Gespräch suchen, Schwachpunkte in der bisherigen Rechtslage und den ersten zaghaften Änderungsvorschlägen der Parteien aufzeigen und effizienten gesetzlichen Whistleblowerschutz einfordern.
Das Jahresende wollen wir nutzen, um all jenen ganz herzlich zu danken, die uns 2011 unterstützt haben.
Unsere Arbeit geht 2012 weiter: Im Januar stehen gleich mehrere Gerichtsverhandlungen von Whistleblowerinnen und Whistleblowern an, die wir begleiten wollen. Im Februar wird es eine öffentliche Anhörung zur Notwendigkeit gesetzlichen Whistleblowerschutzes im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales geben, bei dem wir vertreten sind. Ende März werden wir unsere Ausstellung im Europäischen Parlament in Brüssel präsentieren.
Um all dies und noch viel mehr auch 2012 erfolgreich leisten zu können, brauchen wir noch mehr Menschen, die unsere Ziele teilen, die mitarbeiten (sei es projektbezogen z.B. bei Übersetzungen unserer Ausstellungstexte oder regelmäßig als neues Vereinsmitglied) und wir brauchen auch mehr Spenden um unsere Aktivitäten finanzieren zu können. Hierfür bitten wir um Ihre Unterstützung!
Whistleblower Netzwerk e.V. wünscht Ihnen allen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2012.

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