Sind Prämien für Whistleblower ethisch vertretbar?

So lautet die Frage deren sich drei amerikanischen Wissenschaftler in einer ethischen und ökonomischen Analyse des US False Claims Acts annehmen (T.L. Carson, M.E. Verdu und R.E. Wokutch, „Whistle-Blowing for Profit: An Ethical Analysis of the Federal False Claims Act“, Journal of Business Ethics (2008)77: 361-376).

Nach dem US False Claims Act, dessen Urspünge in der Bekämpfung des Betruges zu Lasten der US-Bundesregierung während des Bürgerkrieges lagen und der 1986 um Whistleblowerregelungen erweitert wurde, haften Personen die wissentlich falsche Ansprüche auf Staatsgelder erheben, in dreifacher Höhe des entstandenen Schadens zuzüglich einer Strafzahlung von 5.500 bis 11.000 $ . Die Whistleblower, auf deren Hinweise hin derartige Schadensersatzzahlungen realisiert werden, erhalten ca. 15 – 25 % der Rückzahlungen. In den letzten 20 Jahren konnte der US-Bundeshaushalt alleine auf Grund der Whistleblower Regelungen des False Claims Act über 20 Mrd. US-$ an Rückzahlungen realisieren (2007 waren dies 1,45 Mrd. US-$;2006 waren es 1,3 Mrd. US-$ und 190 Mio. US-$ an Prämien für Whistleblower).

In ihrem Aufsatz setzen sich die Autoren mit den häufigsten moralischen Einwänden auseinander, die generell gegen die Belohnung von Whistleblowing und speziell gegen den False Claim Act vorgebracht werden:

– Prämien haben einen moralisch korrumpierenden Einfluss auf potentielle Whistleblower, da dann selbstsüchtige Motive in den Vordergrund treten, Whistleblowing aber auf uneigennützigen Motiven beruhen muss um gerechtfertigt zu sein,

– gesetzliche Prämien verderben den moralischen Charakter der Menschen und machen sie egoistischer,

– das Prämiensystem führt dazu, dass Whistleblower sich nicht mehr zuerst intern um Abhilfe bemühen sondern manchmal sogar abwarten bis sich der Schaden noch vergrößert hat um ihre mögliche Prämie zu erhöhen.

Im Ergebnis widerlegen die Autoren alle diese Einwände überzeugend. So z.B. das erste in dem sie auf die Notwendigkeit verweisen die moralische Beurteilung der Handlung von jener der Motive der Person zu trennen. Wenn es darum geht, dass die Gefährdung von Menschenleben durch einen Arbeitgeber durch ein Whistleblowing eines Beschäftigten beseitigt werden kann, ist letzteres nämlich auch dann wünschenswert, wenn der Whistleblower dies aus persönlicher Rache für einen versagte Gehaltserhöhung tut.

Außerdem übersieht das zweite Gegenargument, so die Autoren, dass der Charakter eines Menschen nicht durch ein einzelnes Gesetz oder eine – zumeist allenfalls einmal im Leben zu treffende – Entscheidung über ein Whistleblowing bestimmt wird, sondern tief im Menschen verankert und durch Wiederholung vor allem in der Kindheit und Jugend geprägt wird. Dem dritten Gegenargument halten sie entgegen, dass es immer noch besser ist, wenn Whistleblowing spät geschieht als dass es ganz unterbleibt. Genau dieses ganz unterbleiben und nicht ein früheres Whistleblowing ist ihrer Ansicht nach aber die wirkliche Alternative ohne ein positives Anreizsystem. Ohne jenes spräche nämlich vieles aus selbstsüchtiger und vor allem aus ökonomisch vernünftiger Sicht dagegen das Risiko eines Whistleblowing auf sich zu nehmen. Ausserdem würden angesichts der verschiedenen Prüfstufen und des langen Verfahrens vom False Claims Act auch keine nennenswerten Anreize für falsche Anschuldigungen ausgehen.

Wenn demnach aber moralische Gesichtspunkte nicht gegen Prämiensysteme für Whistleblower im Allgemeinen und den US False Claims Act im Speziellen sprächen, so könnten diese rein ökonomisch, im Sinne einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Bilanz analysiert werden. Diese nehmen die Autoren auch vor und kommen für den False Claims Act zu dem Ergebnis, dass bei diesem die ökomischen Vorteile (Rückerstattungen, Prämien für erfolgreiche Whistleblower, Abschreckung von anderen Betrüger) die Nachteile (Falsche Anschuldigungen, Prozesskosten u.a.) um ein Vielfaches (gemittelter Faktor 33:1) überwiegen.

Die Autoren sprechen sich daher für eine Beibehaltung des False Claims Act aus. Sie schlagen jedoch vor darüber nachzudenken, ob nicht eventuell die Einführung von Kappungsgrenzen für maximale Whistleblowerprovisionen (im Bereich von 1,5 und 2 Mio. US-$ mit Ausnahmeregelungen für Sonderfälle) und die Einführung von gerichtlichen Vorabentscheidungen über Lohnfortzahlungen sinnvoll wäre. Außerdem regen sie an, dass auch Unternehmen über die Einführung von Anreizmechanismen für Whistleblower nachdenken sollten.

Nimmt man hinzu, dass auch US-Whistleblower Organisationen den False Claims Act immerwieder als das am besten funktionierende Gesetz zum Whistleblowerschutz charakterisieren, so wirft dies schon die Frage auf, ob die Diskussion über die Einführung von Anreizmechanismen für Whistleblower nicht auch in Europa enttabuisiert werden müsste.

Whistleblower-Netzwerk jedenfalls möchte diese Diskussion anregen und verweist auf die gemeinsame Stellungnahme zu EU-Grünbuch Arbeitsrecht in der es im Abschnitt „10. Belohnungen für Whistleblower“ u.a. heißt: „Ein möglicher Ansatz hierbei könnte eine Kombination einer umfassenden Kompensation für den Einzelnen, mit einer Kollektivklage zu Gunsten von öffentlichen Hilfsfonds für Whistleblower sein.“

Oder, um mit einer moralischen Frage zu schließen: Ist es denn wirklich der Denunziant welcher der schlimmste Lump im ganzen Land ist (H.v. Fallersleben), oder will die sog. Schweigende Mehrheit, in dem sie diesen als Sündenbock abstempelt, in Wirklichkeit nur davon ablenken, dass sie selbst geschwiegen hat statt Alarm zu schlagen als die größeren Lumpen sich des Staates bemächtigten und den Denuzianten für ihre (unmoralischen) Zwecke Prämien gewährten?

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