Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021

Sind die Bundestagsparteien bereit für ein robustes Whistleblowerschutzgesetz und einen transparenteren Umgang mit Verschlusssachen? Wir haben die Bundestagsparteien CDU/CSU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, Die Linke und FDP für unsere Wahlprüfsteine um Antworten auf acht Fragen gebeten und dabei deutliche Unterschiede beim Verständnis der Rolle von Whistleblowern für Demokratie und Rechtsstaat entdeckt. Eine (aufklappbare) Zusammenfassung und Einordnung finden Sie unten, gefolgt von den Antworten der Parteien auf die einzelnen Fragen und einer graphischen Aufbereitung. Eine Auswertung der Wahlprogramme finden Sie hier.

Zusammenfassung und Einordnung

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Deutschland steht beim Whistleblowerschutz vor einer Richtungsentscheidung. Erfreulich, dass die befragten Bundestagsparteien die Dringlichkeit des Themas erkannt haben und bereits in möglichen Koalitionsverhandlungen über ein Whistleblowerschutzgesetz sprechen wollen. Schließlich drängt die Zeit: Deutschland muss noch dieses Jahr die EU-Whistleblowing-Richtlinie umsetzen, sonst droht ein Vertragsverletzungsverfahren.

Umfassender Schutz und Wahlfreiheit bei den Meldewegen

Allerdings wehren sich CDU/CSU gegen eine umfassende Umsetzung der Richtlinie. Sie wollen den Whistleblowerschutz auf Meldungen über Verstöße gegen Regelungsbereiche, in denen die EU die Gesetzgebungskompetenz besitzt, beschränken („1:1-Umsetzung“). Das würde zu einer Situation führen, in der kleinere Verstöße gegen europäische Vorschriften wie Daten- oder Verbraucherschutz geschützt gemeldet werden können, schwere Straftaten hingegen nicht, weil die EU im allgemeinen Strafrecht keine Regelungskompetenz hat (mehr dazu). Ein Desaster! Es bliebe bei einem lückenhaften Schutzsystem und großer Rechtsunsicherheit. Für Laien ist de facto unmöglich, zu erkennen, wo die Grenzen zwischen europäischen und nationalen Regelungsbereichen verlaufen.

Mehr Mut und Vertrauen in Whistleblower zeigen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und die Linke. Sie setzen sich dafür ein, bei der Umsetzung der EU-Richtlinie nationales Recht miteinzubeziehen. Außerdem wollen sie es Whistleblowern überlassen, ob sie sich unmittelbar an staatliche Stellen wenden und ihre Meldung anonym abgeben wollen. Zurecht, Studien und Erfahrungen zeigen, dass anonyme Meldemöglichkeiten keine Zunahme von missbräuchlichen Meldungen zur Folge haben und Whistleblower Meldungen i.d.R. intern abgeben – wenn sie der Hinweisgeberstelle vertrauen.

Transparenz und Offenlegungen – auch im Geheimschutzbereich

Die Beispiele von Wirecard und Edward Snowden demonstrieren, dass oft erst eine öffentliche Debatte zur Behebung gravierenden Missständen führt. In derartigen Fällen muss der Gang an die Öffentlichkeit geschützt möglich sein. Ausnahmen beim Whistleblowerschutz für Geheimdienste und die ausufernde Einstufung von Informationen als Verschlusssache sind daher kontraproduktiv (mehr dazu). Das hier einiges im Argen liegt haben – mit Ausnahme von CDU/CSU –  alle Bundestagsparteien erkannt. Willen zu einer umfassenden Veränderung zeigen jedoch nur Bündnis 90 / Die Grünen und die Linke. Sie befürworten eine Erleichterung von Offenlegungen bei gravierenden Missständen (auch für Geheimdienstmitarbeitende) und die Schaffung einer unabhängigen Stelle zu Überprüfung der Einstufung von Verschlusssachen Die SPD plädiert für klare Vorgaben für öffentliches Whistleblowing und verweist im Geheimschutzbereich u.a. auf die Neuregelung des Parlamentarischen Kontrollgremiumgesetzes (PKGrG). Sie erlaubt es Angehörigen von Nachrichtendiensten ab 2022, sich anonym und außerhalb des Dienstweges an ein parlamentarisches Kontrollgremium zu wenden. Die FDP steht Offenlegungen skeptisch gegenüber und will einen Parlamentarischen Nachrichtendienstbeauftragten einsetzen.

Wenig Reformbedarf sehen die Parteien der Großen Koalition beim Recht auf Asyl für Whistleblower und verweisen stattdessen auf bestehende Regelungen – die allerdings weder Edward Snowden noch Julian Assange geholfen haben. Bündnis 90 / Die Grünen spricht sich dagegen im Wahlprogramm explizit dafür aus, Menschen wie Edward Snowden in Deutschland aufzunehmen. Linke und FPD wollen Whistleblowern ebenfalls unter bestimmten Bedingungen Schutz in Deutschland anbieten. Alle drei Parteien bleiben bei der konkreten Umsetzung aber vage.

Und nach der Wahl?

Was von ihren Inhalten werden die Parteien in der nächsten Legislatur tatsächlich umsetzen – notfalls gegen die Widerstände möglicher Koalitionspartner? Hier hilft ein Blick auf die letzte Legislaturperiode und die Wahlprogramme (siehe Synopse). Während CDU/CSU eine Einigung auf ein umfassendes Hinweisgeberschutz blockierten, legten Bündnis 90 / Die Grünen einen Gesetzesvorschlag vor, genauso wie das SPD-geführte Bundesjustizministerium. Wie sehr die SPD bei strittigen Punkten tatsächlich auf ihre Forderungen beharren wird, ist unklar. Für eine Erwähnung im (vergleichsweise kurzen) Wahlprogramm war der „Respekt“ für das Thema nicht hoch genug – anders als bei Bündnis 90 / Die Grünen, Linke und FDP. Genauso wie bei den anderen Parteien wird viel davon abhängen, ob es der Zivilgesellschaft gelingt, aufzuzeigen, dass die Parteien mit dem Thema in der Bevölkerung punkten können.

Antworten auf Einzelfragen

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Frage 1: Whistleblowerschutzgesetz in den Koalitionsverhandlungen

In den Koalitionsverhandlungen sollte eine Einigung über ein Whistleblowerschutzgesetz erzielt werden, um die fristgerechte Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtline sicherzustellen.

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet:
CDU und CSU stehen hinter dem Ziel der Whistleblower-Richtlinie, die EU-Vorgaben dürfen aber nicht überschießend umgesetzt werden. Viele Unternehmen kämpfen in der aktuellen Pandemie um ihre Existenz. Ihnen dürfen wir durch weitere Bürokratie und Regulierungen keine zusätzlichen Steine in den Weg legen.

SPD:

Wir haben uns bereits in dieser Legislaturperiode für eine Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie eingesetzt, die jedoch von der Union blockiert wurde. In der kommenden Legislatur setzen wir uns dafür ein, die Richtlinie noch fristgerecht bis Mitte Dezember umzusetzen.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Ja. Angesichts der Umsetzungsfrist (17.12. 2021) wollen wir alles tun, damit nicht die komplexe Situation teils direkter, teils indirekter (als Auslegungsmaßstab) Anwendbarkeit der Richtlinie eintritt. Wir GRÜNE fordern zudem einen Entschädigungsfonds, mit dem das persönliche Risiko minimiert wird. Die Furcht vor einem ökonomischen und persönlichen Schaden als Hemmnis für eine Hinweisgabe soll so abgebaut und potenzielle Hinweisgeber*innen sollen ermutigt werden.

FDP:

Whistleblowerinnen und Whistleblower sollten nicht arbeits-, personal- oder strafrechtlich belangt werden, wenn sie Straftaten oder rechtswidriges Verhalten offenbaren. Voraussetzung ist, dass sie vorher den Dienstwegausgeschöpft haben oder dieser unzumutbar ist. Whistleblowerinnen sollen auch vor der Strafverfolgung durch ausländische Staaten geschützt werden. Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern soll umgehend in deutsches Recht umgesetzt werden.

Die Linke:

Die Frist zur Umsetzung läuft in Dezember aus, daher sollte sie in der Rechtspolitik eines der ersten Vorhaben zur Umsetzung sein. Folgen wären ansonsten große Rechtsunsicherheiten für die Betroffenen, aber auch Behörden und Unternehmen.

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Frage 2: Umfassende Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie

Ein Whistleblowerschutzgesetz sollte alle hinweisgebenden Personen gleichermaßen schützen, unabhängig davon, ob es sich um Verstöße gegen europäisches oder nationales Recht handelt.

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet:
CDU und CSU stehen hinter dem Ziel der Whistleblower-Richtlinie, die EU-Vorgaben dürfen aber nicht überschießend umgesetzt werden. Viele Unternehmen kämpfen in der aktuellen Pandemie um ihre Existenz. Ihnen dürfen wir durch weitere Bürokratie und Regulierungen keine zusätzlichen Steine in den Weg legen.

SPD:

Wir haben uns von Anfang an dafür stark gemacht, über die 1:1 Umsetzung hinaus auch nationales Recht in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen. Ein zweigeteiltes Schutzsystem würde eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen Whistleblowern verursachen, die Verstöße gegen von der Richtlinie erfasstes Unionsrecht und solchen, die Verstöße gegen andere Rechtsvorschriften melden oder offenlegen. Rechtssicherheit ist ein hohes Gut und gerade dann von ausschlaggebender Bedeutung, wenn Menschen Entscheidungen mit potenziell weitreichenden Folgen für ihr künftiges Leben treffen. Auf kaum eine Situation trifft dies so zu wie auf die Entscheidung zum Whistleblowing, die erfahrungsgemäß mit ganz erheblichen Gefahren für die berufliche und persönliche Zukunft eines Menschen einhergeht. Das künftige deutsche Whistleblowing-Recht darf daher nicht den Fehler anderer Rechtsordnungen begehen und durch eine Vielzahl verstreuter und einander widersprechender Normen einen Zustand schaffen, in dem Whistleblower und andere betroffene Personen keine Chance haben, die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen im Vorfeld sicher einschätzen zu können.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Ja. Alles andere scheidet aus Sach- und Rechtsgründen aus (Verwobenheit von nationalem und EU-Recht, Gleichbehandlung). Wir brauchen ein umfassendes Hinweisgeberschutzgesetz, wie seit langem von uns GRÜNEN vorgeschlagen, das die EU-Whistleblower-Richtlinie ambitioniert und umfassend auch für das gesamte nationale Recht umsetzt.

FDP:

Wir Freie Demokraten fordern hohe nationale wie auch europäische Schutzstandards für Whistleblower. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtline (EU 2019/1937) sollten daher die bestehenden Schutzlücken geschlossen werden, um einen branchenübergreifenden sowie umfassenden Schutz für Whistleblower zu erreichen.

Die Linke:

Ein Hinweisgebergesetz, dass lediglich bei Hinweisen auf Verstöße gegen europäisches Recht schützt, wäre unpraktikabel, würde dem Zweck der Richtlinie zuwiderlaufen und neue Rechtsunsicherheit schaffen.

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Frage 3: Gleichrangigkeit von internem und externem Whistleblowing

Whistleblower*innen sollten gleichermaßen geschützt sein, unabhängig davon, ob sie sich zuerst an eine interne Stelle des Arbeitgebers oder unmittelbar an eine externe (staatliche) wenden.

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet:
CDU und CSU sind der Auffassung, dass Möglichkeiten innerbetrieblicher Konfliktklärung, z.B. unter Einschaltung des Betriebsrates, als subsidiäre Ansätze gesetzlichen Regelungen zunächst vorzuziehen sind. Von daher würden wir die Einführung von betriebseigenen Ansprechstellen ausdrücklich begrüßen.

SPD:

Die Europäische Whistleblower-Richtlinie sieht aus guten Gründen die Gleichstellung von internen und externen Meldemöglichkeiten vor. Denn auch wenn Arbeitnehmer*innen sich mit Informationen über Straftaten und andere Rechtsverstöße sich ganz überwiegend an Stellen innerhalb ihres Betriebs wenden, sind sie gerade in Fällen, in denen sie mangels Erfolgsaussichten oder Angst vor Repressalien den Weg an die externen Behörden wählen, besonders schutzbedürftig. Wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen der Arbeitswelt sprechen sich daher eindeutig für ein Recht der Arbeitnehmer*innen und anderen Whistleblowern aus, sich unmittelbar an eine zuständige Behörde wenden zu dürfen.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Ja.

FDP:

Für uns Freie Demokraten sollte Voraussetzung für einen Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern, dass sie vorher den Dienstweg ausgeschöpft haben. Von dieser Voraussetzung ist jedoch abzusehen, wenn die Ausschöpfung des Dienstweges unzumutbar ist. Ziel sollte es sein, durch Gespräche und Anreize die Unternehmen zu ermuntern, selbst moderne Unternehmensstrukturen mit entsprechenden Anlaufstellen zu etablieren, an die sich Whistleblower vertraulich wenden können, um zunächst alle Wege in einem Unternehmen selbst auszuschöpfen.

Die Linke:

Hinweise können zeitkritisch sein, je nachdem, um was für Rechtsverstöße es sich handelt. Daher können Hinweisgeber nicht zuerst an interne Stellen verwiesen werden, die es zudem je nach Größe der Unternehmen oder öffentlichen Stellen auch nicht überall geben wird.

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Frage 4: Anonymes Whistleblowing

Interne und externe Meldestellen sollten gesetzlich dazu verpflichtet sein, fundierten anonymen Meldungen über Rechtsverstöße und gravierende Missstände aus dem Arbeitsumfeld nachzugehen.

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet:
CDU und CSU sind der Auffassung, dass Möglichkeiten innerbetrieblicher Konfliktklärung, z.B. unter Einschaltung des Betriebsrates, als subsidiäre Ansätze gesetzlichen Regelungen zunächst vorzuziehen sind. Von daher würden wir die Einführung von betriebseigenen Ansprechstellen ausdrücklich begrüßen.

SPD:

Die Praxis hat gezeigt, dass anonyme Meldewege für Whistleblower eine sinnvolle Alternative zur vertraulichen oder identitätsoffenen Meldung von Rechtsverstößen sein können, vor allem wenn sie andernfalls mit erheblichen Repressalien zu rechnen hätten. Auch gibt es keinen Grund, warum einem glaubhaften und ggf. mit zahlreichen stichhaltigen Beweisen versehenen Hinweis nicht nachgegangen werden soll, wenn es darum geht, Wirtschafsskandale und andere Rechtsbrüche zu verhindern bzw. aufzuklären. Unabhängig von der Frage, unter welchen Umständen anonyme Meldesysteme verpflichtend einzurichten sind bzw. wie erreicht werden kann, dass Arbeitnehmer*innen sich bevorzugt vertraulich und nicht anonym an die jeweiligen Stellen wenden, ist fundierten anonymen Hinweisen jedenfalls stets in angemessener Weise nachzugehen.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Ja. Ohne Anonymität kann es keinen wirksamen Schutz für Hinweisgeber*innen geben. Zugleich bedeutet Anonymität eine Stärkung der Funktion des Whistleblowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung.

FDP:

Wir Freie Demokraten halten es für unerlässlich, dass nach einer Meldung auch ordnungsgemäße Folgemaßnahmen ergriffen werden.

Die Linke:

Nur so kann das Hinweisgebergesetz auch für abhängig Beschäftigte, gerade in Bereichen mit hoher Arbeitsbelastung, gesundheitlich riskanten Tätigkeiten oder ohne betriebliche Interessenvertretung, seine Schutzwirkung entfalten.

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Frage 5: Öffentliches Whistleblowing

Ist eine Information von erheblichem öffentlichem Interesse, sollten sich Mitarbeitende von Unternehmen, Behörden und Organisationen direkt an die Öffentlichkeit wenden dürfen.

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

CDU und CSU streben eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie zum Hinweisgeber-Schutz an. So schützen wir Hinweisgeber in den erforderlichen Fällen bei der Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht und verhindern gleichzeitig übermäßige Belastungen für Unternehmen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.
Danach soll sich ein Hinweisgeber dann direkt an die Öffentlichkeit wenden können, wenn er hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z.B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens, wenn im Fall einer Meldung über die externen Meldewege Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird. CDU und CSU werden dafür sorgen, dass eine sachgerechte Regelung für Hinweisgeber erfolgt, die an den gemeldeten Verstößen selbst mitgewirkt haben. Wir werden uns, wie es die Richtlinie von den Mitgliedstaaten fordert, dafür einsetzen, dass der interne Meldeweg vorrangig beschritten wird.

SPD:

Whistleblower erweisen der Gesellschaft einen unverzichtbaren Dienst, indem sie Licht ins Dunkel erheblicher Missstände bringen und eine demokratische Debatte um den gesellschaftlichen Umgang mit zentralen Fragen unserer Zeit überhaupt erst ermöglichen. Auch wenn die konkrete rechtliche Ausgestaltung und Definition von Informationen von erheblichem öffentlichem Interesse fraglos herausfordernd ist, muss sich ein künftiges Whistleblower-Gesetz in jedem Fall mit dieser wichtigen Thematik auseinandersetzen und einen angemessenen Schutzumfang vorsehen.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Ja, auch das ist seit langem GRÜNER Vorschlag.

FDP:

Neben dem durch die EU-Whistleblower-Richtlinie zu schaffenden dualen System aus internen und externen Meldewegen besteht für potenzielle Whistleblowerinnen und Whistleblower stets auch die Möglichkeit, sich an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, an Mitglieder der Sicherheitsbehörden und insbesondere auch an das Parlamentarische Kontrollgremium, zu wenden. Soweit es daher für Whistleblower die Möglichkeit gibt, ihr Anliegen vorzubringen, sollte diese Möglichkeit grundsätzlich genutzt werden.

Die Linke:

Im Gesetz müsste allerdings klar geregelt sein, welche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des „erheblichen öffentlichen Interesses“ zu stellen sind.

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Frage 6: Offenlegungen im Geheimdienst

Die Offenlegung von Missständen mit grundlegender Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen sollte auch für Mitarbeitende der Geheimdienste erlaubt sein.

Ausführliche Antworten

CDU/CSU:

Eine Ausweitung des Hinweisgeberschutzes auf Nachrichtendienste lehnen wir ab.

SPD:

Das berechtigte Interesse an Sicherheit und dem Schutz wichtiger Staatsgeheimnisse darf in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zwangsläufig dazu führen, dass eine Gesellschaft die Aufdeckung tiefgreifender staatsinterner Fehlentwicklungen und essenzieller Gefahren für die Freiheit stets unter Strafe stellt und in Zukunft verhindert. Im Rahmen der Umsetzung der Europäischen Whistleblowing-Richtlinie streben wir deshalb einen Rechtsrahmen an, der eine inhaltlich angemessene und rechtsklare Regelung für die Offenlegung von Staatsgeheimnissen bereitstellt, sofern deren Aufdeckung von grundlegender Bedeutung für das demokratische Gemeinwesen ist und die Rechtmäßigkeit der Offenlegung zuvor in einem in-camera Verfahren festgestellt wurde, um sicherzustellen, dass andere Rechtsgüter durch die Offenlegung nicht unangemessen gefährdet werden. Hierfür sehen wir im Bundesverfassungsgericht eine geeignete Instanz. Bereits zum 01.01.2022 tritt die von uns voran getriebene Neuregelung des PKGrG-Gesetzes in Kraft, die Angehörigen von Nachrichtendiensten einen Weg eröffnet, sich anonym an ein parlamentarisches Kontrollgremium zu wenden, außerhalb des Dienstweges.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Es sollte keine pauschalen Bereichsausnahmen beim Hinweisgeberschutz geben.

FDP:

Zwar bleiben von der EU-Whistleblower-Richtlinie „Verschlusssachen“ bewusst unberührt (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. a) RL). Allerdings existiert in Deutschland mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) bereits ein entsprechendes Gremium für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste, die Missstände offenlegen wollen und den internen Meldeweg scheuen. Wir Freie Demokraten fordern zudem seit langem die Einsetzung einer/eines Parlamentarischen Nachrichtendienstbeauftragten, die/der neben dem PKGr als Ansprechpartner/in für Angehörige der Nachrichtendienste, die auf Missstände oder Unregelmäßigkeiten hinweisen wollen, dienen kann (s. Antrag der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Reform der Nachrichtendienste – Lehren aus dem Urteil des BVerfG zum BND-Gesetz, BT-Drs. 19/19509, sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste, BT-Drs. 19/19502).

Die Linke:

Geheimdienste sind ein Fremdkörper in der Demokratie. Es müssen alle Möglichkeiten ergriffen werden, den kontrollfreien Raum der Geheimdienste zu beschränken.

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Frage 7: Überprüfung der Einstufung als Verschlusssache

Zur stichpunktartigen Überprüfung der Einstufung als Verschlusssache sollte eine von der jeweiligen Behörde unabhängige Stelle geschaffen werden (analog zum Bundesdatenschutzbeauftragten).

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Einstufungen als Verschlusssachen erfolgen aufgrund der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung – VSA). Dabei gilt der Grundsatz, dass der Ersteller eines Dokuments über die Einstufung als Verschlusssache entscheidet. Eine Einstufung als Verschlusssache ist bereits jetzt – etwa in Verfahren aufgrund von Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz – voll gerichtlich überprüfbar. Ein Erfordernis für eine unabhängige Stelle, wie in der Fragestellung genannt, sehen CDU und CSU deshalb nicht.

SPD:

Whistleblowern darf ein Schutz nicht allein deshalb versagt werden, weil ein Teil ihrer Informationen ggf. in rechtswidriger Weise als Verschlusssache eingestuft wurde. Andernfalls könnte eine Aufdeckung von Rechtsverstößen schlicht dadurch unterbunden werden, dass Nachweise krimineller Machenschaften als Verschlusssachen eingestuft werden. Auf der anderen Seite gebieten viele Angelegen der öffentlichen Verwaltung im Interesse der Grundrechte der Bürger und der Funktionsfähigkeit der Verwaltung eine vertrauliche Behandlung. Es ist deshalb ein sorgsamer Interessenausgleich zu gewährleisten, was beispielsweise durch die Einführung unabhängiger Meldestellen für Verschlusssachen-Angelegenheiten erreicht werden kann.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Geheimhaltung besonderer und bestimmter Informationen kann in einem Rechtsstaat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und des Staatswohls gerechtfertigt und notwendig sein. Sie wird aber problematisch, wenn sie als Instrument zur Verhinderung von Aufklärung missbraucht wird. Exzessives „Geheim“-Einstufen von Akten und Informationen, um diese so dem öffentlichen Diskurs vorzuenthalten sowie das großflächige „Schwärzen“ gerät zum Missbrauch, wenn damit auch nicht schutzbedürftige Informationen geheim und so einer öffentlichen Kontrolle und Aufarbeitung entzogen werden. Wir GRÜNE wollen eine permanente, unabhängige Kontrollinstanz schaffen, welche im Streitfall Einstufungen von Dokumenten, Dateien und Vorgängen überprüft.

FDP:

Wir Freie Demokraten wollen prüfen, wie das Spannungsverhältnis aus staatlichem Geheimschutz und parlamentarischem Auskunftsrecht neu austariert werden kann. Die Prüfung der Idee einer unabhängigen Stelle in der jeweiligen Behörde zur stichpunktartigen Überprüfung der Einstufung von Verschlusssachen bietet sich in diesem Kontext an.

Die Linke:

Eine Einstufung müsste nicht für jede Verschlusssache erfolgen, sondern für Dokumente, die von außen von den Behörden angefordert werden. Wichtig ist aus unserer Sicht auch, dass die Parlamente bei Verschlusssachen in (Untersuchungs-)Ausschüssen sowie bei Antworten auf parlamentarische Anfragen nicht an die Einstufung durch Ministerien gebunden sind, sondern eine eigene Einstufung vornehmen.

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Frage 8: Recht auf Asyl für Whistleblower*innen

Whistleblower*innen, die zur Aufdeckung von gravierenden Missständen beigetragen haben, sollten vor Strafverfolgung durch ausländische Staaten geschützt werden, in etwa durch Asylgewährung.

 

Ausführliche Antworten der Parteien

CDU/CSU:

Die Voraussetzungen und das Verfahren für die Erteilung von sog. Schengen-Visa für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen ist harmonisiert und im EU-Recht geregelt. Maßgeblich ist vor allem der EU-Visakodex, der u.a. die Möglichkeit der Erteilung eines räumlich beschränkten Visums beispielsweise aus humanitären Gründen vorsieht. Die deutschen Auslandsvertretungen prüfen das Vorliegen der Umstände und rechtlichen Voraussetzungen des Einzelfalls für die Erteilung eines solchen „Ausnahme-Visums“.

SPD:

Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung und gewähren all denjenigen Schutz, die vor politischer Verfolgung oder vor Krieg fliehen und sich bei uns in Sicherheit bringen wollen. Wer vor Verfolgung oder Diskriminierung, seien sie staatlich, nichtstaatlich oder auch geschlechtsspezifisch, fliehen muss, soll in Deutschland Schutz und Zuflucht, schließlich auch einen gesicherten Aufenthalt bekommen. Die Asylgründe sind in jedem Einzelfall zu prüfen. Whistleblower können unter Umständen auch politisch Verfolgte sein und genießen bereits aus diesem Grund Asyl.
Deutschland kooperiert im Bereich der Strafverfolgung mit vielen Ländern in und außerhalb von Europa. Diese Kooperation umfasst auch Auslieferungsabkommen, die uns dazu verpflichten, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob dem Auslieferungswunsch eines anderen Staates entsprochen werden kann. Diese Einzelfallprüfung ist Aufgabe unabhängiger Gerichte.

Bündnis 90 / Die Grünen:

Auch das kann zu effektivem Schutz  des Whistleblowing beitragen. Wir GRÜNE wollen, dass Whistleblower*innen wie Edward Snowden, dem wir die Aufdeckung der weltweiten Ausspähung und Massenüberwachung durch zahlreiche Nachrichtendienste zu verdanken haben, frei und sicher in einem demokratischen Land leben können, und ihnen dies auch in Deutschland anbieten.

FDP:

Wir Freie Demokraten wollen Whistleblower auch vor der Strafverfolgung durch ausländische Staaten schützen, sofern es sich tatsächlich um Whistleblowing und nicht um eine Straftat handelt.

Die Linke:

Wer durch die Aufdeckung von Rechtsbrüchen und Menschenrechtsverletzung dem Risiko der Verfolgung ausgesetzt ist, sollte sich auf internationalen Schutz verlassen können.

Graphiken mit allen Selbsteinschätzungen der Parteien

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