Transparenz im Geheimschutz

Die Kontrolle der Nutzung von Geheimhaltungsstufen in deutschen Ämtern ist mangelhaft. Mit der Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie bietet sich die Chance, eine alte Idee umzusetzen: Die Bundestransparenzbeauftragte.

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz kennt vier Geheimhaltungsstufen, um den behördlichen Umgang mit sensiblen Informationen zu regeln – dabei muss es sich nicht um eine Akte handeln, sondern es können beispielsweise auch E-Mails oder USB-Sticks klassifiziert werden. Eine Einstufung muss im öffentlichen Interesse liegen und prinzipiell stehen Belange der inneren und äußeren Sicherheit sowie der auswärtigen Beziehungen im Fokus des Schutzes, aber die Verschlusssachenanweisungen lassen da Spielraum. Was immer mal wieder kreativ genutzt wird: So stufte die Bundesregierung im September 2020 die Auskunft über Bordrestaurants der Deutschen Bahn als „vertrauliche Verschlusssache“ ein und umging so die Antwort auf die Frage eines FDP-Bundestagsabgeordneten, der wissen wollte, welchen Anteil aller gefahrenen Kilometer die DB mit nicht funktionsfähigem Bordrestaurant zurücklegen würde. Grundsätzlich gilt: Eine Einstufung als Verschlusssache darf nur vorgenommen werden, soweit die Einstufung notwendig ist.

1. Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch
2. Verschlusssache vertraulich
3. geheim
4. streng geheim

Wie oft und in welchem Ausmaß die Nutzung von Geheimhaltungsstufen in Deutschland stattfindet, ist nicht feststellbar. 2015 hat die Bundesregierung noch auf eine Kleine Anfrage der Linken geantwortet, dass es ein „unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand“ sei, zu ermitteln, wie viele Dokumente und sonstige Informationsträger in Bundesbehörden als Verschlusssache eingestuft werden. Geschätzt wurde von der Bundesregierung damals, dass allein im Bundesinnenministerium jährlich circa 5.500 Mal die oberen drei Geheimhaltungsstufen verwendet würden, und noch einmal ungefähr genauso oft der Stempel VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zum Einsatz käme. Geht man von der Bundes- auf die Länder- und kommunale Ebene, so kommt in Deutschland eine Menge zusammen.

Dass es sich hierbei immer um eine im öffentlichen Interesse bestehende Geheimhaltungsbedürftigkeit handelt, dafür ist die jeweilige Dienststellenleitung zuständig, bzw. in Bundesbehörden und anderen großen Einrichtungen spezielle Geheimschutzbeauftragte. Ihnen obliegen stichprobenartige Kontrollen, um zu prüfen, ob die in der Dienststelle hergestellten Verschlusssachen ungerechtfertigt oder unrichtig eingestuft wurden.

„Der staatliche Geheimschutz dient dem Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen. […] In einer freiheitlichen Demokratie ist staatliches Handeln auf Transparenz ausgerichtet. Im Interesse der äußeren und inneren Sicherheit und des Schutzes seiner Bürgerinnen und Bürger muss jedoch auch ein demokratischer Staat bestimmte Informationen geheim halten.“So erklärt das Bundesinnenministerium das Spannungsfeld zwischen Transparenz und Geheimhaltung.

Für die Öffentlichkeit ist weder prüfbar, in welchem Ausmaß solche Kontrollen durchgeführt werden, noch wie gründlich. Es liegt in der Natur der Sache, dass geheime Informationen schwierig zu kontrollieren sind. Doch mit welcher Nonchalance das in Deutschland hingenommen wird, ist überraschend.

Als 2018 bekannt wurde, dass die NSU-Akten vom hessischen Verfassungsschutz für 120 Jahre unter Verschluss gestellt worden waren und dann das Landesinnenministerium auf Druck der Öffentlichkeit diese scheinbar willkürlich gewählte Jahreszahl auf 30 Jahre heruntergeschraubt hatte, wurde zwar über Sinn und Unsinn dieser einzelnen Verschlusssacheneinstufung diskutiert. Aber auch hier hat man verpasst, grundlegender zu erörtern, wie in Deutschland der Umgang mit Verschlusssachen geregelt ist. Die EU-Whistleblowing-Richtlinie bietet eine neue Chance, diese Debatte zu öffnen.

Die Chance EU-Whistleblowing-Richtlinie

Im November 2019 habe ich im Rahmen einer Konferenz der LMU München das erste Mal den frommen Wunsch geäußert, dass der Umgang mit Verschlusssachen Teil der Debatte über die nationale Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie werden sollte (Working Paper: Zur anstehenden Regulierung von Whistleblowing in Deutschland). Die Whistleblowing-Richtlinie lässt den EU-Mitgliedsstaaten zwar die Möglichkeit, eine Bereichsausnahme für unter Verschluss stehende Informationen zu schaffen – aber sie bietet auch eine neue hervorragende Möglichkeit, die hierzulande kaum geführte Diskussion über Verschlusssachen voranzutreiben, denn die Richtlinie bricht herkömmliche Strukturen im öffentlichen Dienst auf: Die Abschaffung der beamtenrechtlichen Dienstwegspflicht fällt mit der EU-Richtlinie. Und wenn man Whistleblowing als Mittel der Rechtsdurchsetzung versteht – was Grund und Ursache der Richtlinie ist –, erscheint es geradezu absurd, die Filetstücke unserer öffentlichen Verwaltung, die Verschlusssachen, aus dem Einflussbereich der nationalen Richtlinienumsetzung herauszunehmen.

Und, siehe da: Nun ist im Verfassungsblog ein Artikel mit dem Titel „Alles unter Verschluss. Zur Rolle von Verschlusssachen bei der Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie“ erschienen, in dem die drei Juristen Robert Brockhaus, Dr. Simon Gerdemann und Christian Thönnes die Schaffung eines Bundestransparenzbeauftragten im Rahmen der Richtlinienumsetzung fordern.

Bundestransparenzbeauftragte

Die Stelle eines solchen Beauftragten hätte eine Doppelfunktion: Erstens die stichprobenartige Kontrolle der in Behörden stattfindenden Verschlusssacheneinstufung; und zweitens als Meldestelle für (potenzielle) Whistleblower. Der Vorteil eines/r solchen Bundestransparenzbeauftragte(n) läge – im Gegensatz zu Dienststellenleitern und Geheimschutzbeauftragten – nicht zuletzt darin, dass sie nicht in der üblichen behördlichen Struktur gefangen wäre, sondern unabhängig agieren könnte. Damit greifen die drei Juristen eine Idee auf, die bereits 2013 von der Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten und 2016 von der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht worden war, und entwickeln sie im Licht der EU-Whistleblowing-Richtlinie weiter. Sie schreiben: „Ein solcher ‚Bundestransparenzbeauftragter‘ könnte dann im Hinweisgeberschutzgesetz für Meldungen in Bezug auf Verschlusssachen, abweichend von sonstigen Meldungen, als zuständige externe Meldestelle benannt werden. Er würde dann, bevor das übliche, in Kapitel III der WBRL umschriebene externe Meldeverfahren seinen Gang nimmt, zunächst inzident überprüfen, ob die Verschlusssache tatsächlich materiell geheimhaltungsbedürftig ist. […] Ungerechtfertigte Einstufungen könnte der Bundestransparenzbeauftragte aufheben. Dann wären die regulären Meldemöglichkeiten und -verfahren der Whistleblowing-Richtlinie eröffnet.“

Whistleblower zur Rechtsdurchsetzung

Zum einen würde im Zuge der ohnehin zu schaffenden Whistleblowing-Behörden eine übergeordnete und unabhängige Kontrollinstanz kreiert, die systematisch Verschlusssachen überprüfen und über diese Überprüfungen öffentlich Rechenschaft ablegen würde. Zum anderen würde so potenziellen Whistleblowern ein Weg eröffnet, auch zum Abstellen derjenigen Missstände beizutragen, die als Verschlusssache klassifiziert wurden, die Geheimhaltung jedoch nicht verdienen. Denn selbst mit einer gelegentlichen Überprüfung brauchen wir bei der Vielzahl von klassifizierten Informationen den kritischen Blick aller darauf zugreifenden Personen und nicht nur das wachsame Auge eines/r Bundestransparenzbeauftragten. Auf diesem Wege würde es vielleicht gelingen, der Öffentlichkeit ein stärkeres Vertrauen in die Verschlusssacheneinstufung zu vermitteln als mit den willkürlich erscheinenden und politisch motivierten Vorgängen rund um die NSU-Akten.

Die Autoren im Verfassungsblog lassen – genau wie die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragte 2013 – viele offen Fragen, was die konkrete Ausgestaltung des/r Bundesdatenschutzbeauftragten angeht. Wie kann ausreichend fachliches Know-How sichergestellt werden, um Informationen bezüglich Geheimhaltungsnotwendigkeit fundiert zu bewerten? Wie kann eine stichprobenartige Kontrolle ohne tiefgehende Kenntnisse von behördeninternen Vorgängen gelingen? Gibt es eine Berufungsinstanz? Das sind Punkte, die weiter zu diskutieren sind, doch wichtig war, diesen Prozess anzustoßen. Geheimhaltung muss, wie jede gesellschaftliche Norm, regelmäßig neu ausgehandelt werden. Wenn sie, so wie in diesem Fall, sich aus intrinsischen Gründen externer Kontrolle weitestgehend entzieht, ist dieser Aushandlungsprozess umso wichtiger. Wir alle sollten daher dazu beitragen, dass diese langsam aufflackernde Diskussion so breit wie möglich geführt wird.

„Ungerechtfertigte oder zu hohe VS-Einstufungen führen zu einer Verwässerung des Geheimschutzes und zu mangelnder Akzeptanz der Maßnahmen des Geheimschutzes insgesamt.“ Aus den Erläuterungen zur VS-Anweisung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.

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