Urteil im Assange-Prozess: Erleichterung über Entscheidung, Enttäuschung über Begründung

Ein Londoner Gericht hat die Entlassung Julian Assanges angeordnet und damit einen Auslieferungsantrag der US-Justiz abgelehnt, die den Wikileaks-Gründer im Zusammenhang mit den Enthüllungen der Whistleblowerin Chelsea Manning der Spionage beschuldigt. Das Urteil ist dennoch kein Sieg für die Presse- und Meinungsfreiheit, wie die Urteilsbegründung zeigt.

Erleichterung über die Entscheidung des Londoner Gerichts

Im Urteil heißt es, der mentale Zustand Assanges lasse keine Auslieferung zu, da die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass u.a. die dort drohende Isolationshaft für den hochgradig depressiven Julian Assange zum Suizid führen würde. Whistleblower-Netzwerk ist über die Ablehnung der Auslieferung erleichtert, aber enttäuscht über die Urteilsbegründung der Richterin Vanessa Baraitser.

Fehlende Berücksichtigung der politischen Dimension

Einerseits kommt Richterin Baraitser zu dem Schluss, dass Julian Assange nicht das Ziel einer politisch motivierten Strafverfolgung sei, andererseits hält sie fest, dass die amerikanische Geheimdienstcommunity in den vergangenen Jahren Assange als ständige Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet habe. Sie sieht die Grundlagen für ein faires, unpolitisches Verfahren in den USA gegeben. Ein überraschender Schluss, da sich im Annex ihres Urteils Beispiele für Vermischung von Politik und Justiz finden – z.B. der Umgang mit dem von der CIA verschleppten Deutschen Khaled el-Masri.

Asyl für Assange

Mit seiner Begründung scheint das Londoner Gericht dem US-Justizministerium fast schon in die Arme gespielt zu haben: Ein Ministeriumssprecher zeigte sich Presseberichten zufolge „erfreut“, dass das Gericht Assanges Argumente bezüglich der „politischen Motivation, der politischen Beleidigung, des fairen Verfahrens und der Redefreiheit“ zurückwiesen habe und kündigte an, weiterhin die Auslieferung Assanges an die USA anzustreben. Deutschland sollte dem Entgegentreten und Assange Asyl anbieten. Whistleblower und deren Mittler*innen, die dazu beitragen, bedeutende Informationen aus dem Bereich der nationalen Sicherheit und der Geheimdienste an die Öffentlichkeit zu bringen, brauchen ein verbrieftes Recht auf Asyl.

Wikileaks Bedeutung für das Gemeinwohl ist beispiellos: Die 2010 enthüllten „IraqWarLogs“ haben etwa die Ermordung 15.000 toter irakischer Zivilist*innen aufgezeigt, die sonst vermutlich nie ans Licht gekommen wäre. Die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse an diesen Informationen und dem Interesse der Geheimhaltung der Dokumente fällt eindeutig aus. Man darf diese Abwägung allerdings nicht einem US-amerikanischen Gericht überlassen.

Thomas Kastning, Geschäftsführung Whistleblower-Netzwerk: „Schon allein der bisherige Prozess war ein verheerendes Signal. Der abschreckende ‚Chilling-Effekt‘ auf potenzielle künftige Whistleblower und Journalist*innen ist bereits jetzt enorm.“

Kontakt:
WBN – Whistleblower-Netzwerk e.V. 
Thomas Kastning (Geschäftsführung)
kastning@whistleblower-net.de
Tel.: +49 162 739365

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