Fishrot: Wie ein isländischer Whistleblower es mit den Haifischen aufnahm

Johannes Stefansson arbeitete jahrelang in einem Fischereiunternehmen, das millionenschwere korrupte Geschäfte in Namibia machte – bis er beschloss, den Fall öffentlich zu machen.

Mehr als 30.000 Dokumente sollen beweisen, was Johannes Stefansson seinem ehemaligen
Arbeitgeber vorwirft: Islands größtes Fischereiunternehmen Samherji habe namibischen Politikern
Millionen von Dollar als Bestechungsgelder gezahlt, um im Gegenzug lukrative Fischgründe an der
Küste Namibias zu erhalten. Stefanssons Belege wurden Ende 2019 als „Fishrot-Files“ auf der
Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht. Sie erzählen eine Geschichte der Ausbeutung der
Ressourcen Namibias und davon, wie es für einen skeptischen Mitarbeiter zur Lebensaufgabe wird,
die korrupten Netzwerke dahinter aufzudecken.

Johannes Stefansson stammt aus einer Kleinstadt in Island, wie sein Vater begann er seinen
Berufsweg als Fischer. Über 20 Jahre lang war Stefansson auf hoher See weltweit unterwegs und
arbeitete sich in der Branche hinauf, bis hin zu höheren Positionen auf dem Festland. Im Jahr 2007
fing er als Manager bei Samherji an. Das Fischereikonglomerat war schon damals eines der größten in
Europa, mit Fischgründen in vielen Ländern. Kurz nach Stefanssons Einstieg bei Samherji weiteten sie
ihre Aktivitäten auf Namibia aus: Kein Wunder, denn hier erstreckt sich über tausende
Küstenkilometer eines der ertragreichsten Fischvorkommen der Welt.

„Korruption ist in diesem Land weit verbreitet“

Im November 2011 trafen sich einige Führungspersonen von Samherji mit dem Schwiegersohn des
namibischen Fischereiministers, Tamson Hatuikulipi. Damit soll der Grundstein für jahrelange
korrupte Geschäfte gelegt worden sein. In den Wikileaks-Dokumenten wird später öffentlich, was die
Isländer aus dem Gespräch mit Hatuikulipi mitnehmen: Es würde in Namibia nicht als unnatürlich
gesehen, „Leute für Hilfe bei der Erledigung von Angelegenheiten zu bezahlen – eine so genannte
‚Vermittlungsgebühr‘“. Denn: „Korruption ist in diesem Land weit verbreitet“ (Vgl. Taz-Artikel vom
26.07.2020). Johannes Stefansson, damals 35 Jahre alt, arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Managing
Director in Namibia für Samherji. Er wurde in diese Mentalität der Wirtschaftskriminalität mit
hineingezogen, schildert er später in öffentlichen Statements.

Tamson Hatuikulipi blieb nicht der einzige Namibier, der in den Fishrot-Betrug verstrickt war. Es ist
ein ganzer Kreis von hohen Persönlichkeiten, genannt die „Haifische“. Darunter sind
Fischereiminister Bernhard Esau und Justizminister Sacky Shanghala sowie der Vorsitzende des
staatlichen Fischereiunternehmens Fishcor, James Hatuikulipi der gleichzeitig Cousin von Tamson
Hatuikulipi ist. Ihnen soll Samherji insgesamt über 10 Millionen US-Dollar Bestechungsgelder gezahlt
haben. Heute sitzen alle fünf in Untersuchungshaft.

Die Haifische standen damals an der Spitze eines Landes, das unter dem leidet, was man in der
Entwicklungsgeografie „Ressourcenfluch“ nennt: Namibia besitzt nicht nur lukrative Fischgründe,
sondern auch große Vorkommen von Bodenschätzen wie Uran oder Edelsteinen. Allerdings kommt
von diesem Vermögen wenig bei der Bevölkerung an. Über Jahrzehnte hinweg wurde das Land brutal
ausgeplündert, nach dem „Gini-Index“, einem Maß der Gleichheit oder Ungleichheit der Verteilung
von Vermögen oder Einkommen, gibt es heute kaum ein Land auf der Welt, bei dem die
Einkommensverteilung ungleicher ist. Vor einigen Jahren hat die Regierung deshalb die sogenannte
„Namibisierungs-Politik“ eingeführt – eine Reihe von Gesetzen, die die Ausbeutung durch
ausländische Firmen eigentlich verhindern soll. Wer Fischereirechte beantragt, muss nachweisen,
benachteiligte Namibier*innen sowie die regionale Entwicklung zu fördern. Zudem werden die
Rechte für Fischfangangquoten vorrangig an Firmen aus Namibia vergeben werden.

Ein guter Fang für Samherji

Um trotzdem an den Ausschreibungen für Fischereirechte teilnehmen zu können, gründete Samherji
lokale Tochterunternehmen in Namibia und dem benachbarten Angola. Sie gaben gegenüber den
Behörden vor, alle Vorgaben für Antragsteller zu erfüllen: Auf dem Papier waren die Firmen im Besitz
von Namibier*innen, sie versprachen Arbeitsplätze, große Investitionen und Beiträge zur
Ernährungssicherheit. Die namibischen „Haifische“ schoben Samherjis Subunternehmen dann
großzügig Fischereirechte zu. Rund 585.000 Tonnen Fisch sollen sie zwischen 2012 und 2019
gefangen haben, das entspricht knapp einem Fünftel dessen, was in Namibia in diesem Zeitraum
insgesamt gefischt wurde. Als Gegenleistung zahlte Samherji mehrere Millionen Dollar an die
Haifische, wie die von Whistleblower Stefansson geleakten Dokumente zeigen.

Das Geschäft für die Isländer boomte, auch weil sie fast keine Steuern zahlten: Samherjis Firmen
nutzten Doppelbesteuerungsabkommen in Steueroasen wie Mauritius oder Zypern. Dadurch lagen
ihre Steuerverpflichtungen weit unter dem, was namibische Unternehmen normalerweise zahlen.
Stefansson berechnete später, dass Samherji und seine Tochterfirmen in den sieben Jahren einen
Profit von rund 124 Millionen US-Dollar mit der namibischen Fischerei erwirtschaftet haben.
Stefansson kündigt mit Zehntausenden Dateien im Gepäck

Johannes Stefansson war von Anfang an mit in den Steuerbetrug verwickelt: „Zu dieser Zeit arbeitete
ich noch daran, Wege zu finden, das Geld aus Namibia heraus zu schleusen“, sagte er der
südafrikanischen Zeitung „Mail & Guardian“ im Januar 2020. Doch ihm wurde immer unwohler bei
der Sache, sodass Stefansson sich im Dezember 2016 schließlich entschied, die Firma zu verlassen.
Während die Verhandlungen um die Kündigungsbedingungen noch liefen, stellte Stefansson in
weiser Voraussicht einen IT-Spezialisten an: Sie sicherten zehntausende E-Mails von seinem
Arbeitsaccount, Memos, Bilder und Videos. Es ist das Archiv, das später als „Fishrot-Files“
veröffentlicht wird.

Aber nicht nur er wusste, welcher Zündstoff auf seinem Laptop gespeichert war. Stefansson war zu
diesem Zeitpunkt schon ein bekannter Geschäftsmann in der afrikanischen Fischerei, er kannte die
Geheimnisse des Systems. Es gab einige Leute, die scheinbar großes Interesse an seinem Laptop
hatten, das merkte Stefansson bald. Er wurde verfolgt und erhielt Drohungen, es wurden Gerüchte
verbreitet, dass er drogen- und alkoholsüchtig sei. Kurz nach seiner Kündigung habe er außerdem an
Krampfanfällen, Zusammenbrüchen und unkontrollierbarem Zittern gelitten. Die Symptome ließen
sich von einem Arzt in Südafrika nicht zuordnen. Anfang 2017 flog Johannes Stefansson zurück in
seine Heimat Island, wo ihm ein Arzt erklärte, dass die Symptome denen einer Vergiftung ähnelten.
Eine definitive Diagnose konnte jedoch nicht erstellt werden.

Der Schritt an die Öffentlichkeit

Für Stefansson war eindeutig: Der Fishrot-Fall muss ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Im Sommer
2018 nahm er Kontakt zu dem Chefredakteur von Wikileaks, Kristinn Hrafnsson, auf. Dieser hat ihn
mit mehreren Medienhäusern verbunden, unter anderem der Investigativeinheit von Al Jazeera, mit
der Stefansson erneut nach Namibia reiste. Dort wollten sie Beweise sammeln und dem Fishrot-Fall
tiefer auf den Grund gehen. Bei der Ermittlung erlebten sie immer wieder Versuche, die Recherche
aufzuhalten, ihnen persönlich zu schaden und sie zum Schweigen zu bringen – sowohl in Namibia als
auch in Island und einigen anderen Ländern.

Nach 15 Monaten riskanter Recherche wurden die Fishrot-Files schließlich im November 2019 auf
Wikileaks veröffentlicht. Direkt darauf wurde Samherjis Generaldirektor Thorsteinn Mar Baldvinsson
kurzzeitig suspendiert. Er ist mittlerweile wieder im Amt, aber mehrere internationale Behörden
untersuchen Samherji weiterhin auf kriminelle Aktivitäten. In Namibia wurden die Enthüllungen kurz
vor den Präsidentschaftswahlen öffentlich und verursachten Proteste im ganzen Land. Auf den
enormen Druck hin traten der Fischereiminister Esau und Justizminister Shangala sofort zurück und
wurden kurz darauf verhaftet. Insgesamt sind mittlerweile zehn der sogenannten „Haifische“
festgenommen worden. Namibias Staatsoberhaupt Hage Geingobs Stimmanteil brach bei den
Wahlen auf 56 Prozent ein, nach 86 Prozent bei den letzten Präsidentschaftswahlen.

Doch wenngleich die Fishrot-Enthüllungen hohe Wellen geschlagen haben, scheinen sie das lang
eingespielt korrupte System in Namibia nicht unter sich begraben zu haben. Der neue Fischereiminister Albert Kawana kündigte Anfang Oktober 2020 an, weiterhin nach dem gleichen Prinzip
Fischereirechte vergeben zu wollen – also genau das Verfahren fortzuführen, in dem die
millionenschwere Korruption durch Samherji gedeihen konnte. „The Fishrot Beat goes on“ betitelte
die lokale Zeitung The Namibian Kawanas Entscheidung. Es bleibt eine bestürzende Bilanz, die auch
Whistleblower Johannes Stefansson zieht: „Da sind noch größere Player als die Haifische.“

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