Whistleblowerinnen aus der Altenpflege und ihr Tag vor Gericht

20141119_144125Wer uns auf Facebook oder Twitter folgt, hat vielleicht schon mitbekommen, dass im Sommer gleich 11 Altenpflegerinnen von einem Altenheim in Dorsten gekündigt worden waren, nachdem sie die Heimaufsicht auf ihrer Ansicht nach in jenem Heim bestehende Missstände hingewiesen hatten. Wiederholte sich der Fall von Brigitte Heinisch hier gleich elffach? Am Mittwoch stand für drei der Altenpflegerinnen der Kammertermin vor dem Arbeitsgericht in Herne an. Whistleblower-Netzwerk war durch einen Prozessbeobachter vertreten.

Schon gleich zu Beginn der Sitzung machte die vorsitzende Richterin ihren Standpunkt unmissverständlich deutlich: Jene Altenpflegerin, die  – fristgemäß –  noch in der Probezeit gekündigt worden war, treffe die volle Nachweispflicht, dass ihre Kündigung sittenwidrig sei oder gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstoßen worden sei. Bis jetzt sei dieser Nachweis zur Überzeugung des Gerichts noch nicht erbracht worden. Für die beiden anderen Klägerinnen, die sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen ihre fristlosen Kündigungen wendeten, sei auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte  (EGMR) zum „neudeutsch so genannten Whistleblowing“ abzustellen. Hier käme es dann vor allem darauf an, ob die Klägerinnen – und hierbei sei jeder Fall einzeln zu betrachten – wie von der Rechtsprechung gefordert, zunächst ordnungsgemäß intern auf mögliche Missstände hingewiesen hätten. Könnten sie dies nicht nachweisen, so sei die von ihnen vorgenommene Meldung an die Heimaufsicht, auch wenn es sich dabei nicht um einen Gang an die breite Öffentlichkeit handele, verfrüht und damit eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung gewesen. Mit dem EGMR-Urteil Heinisch sei der vorliegende Fall dann nicht vergleichbar, denn Frau Heinisch habe sich mehrfach um interne Abhilfe bemüht, bevor sie nach außen gegangen sei. Was die behaupteten Missstände anging, hielt die Richterin den Klägerinnen auch noch entgegen, diese bisher nicht spezifisch genug vorgetragen zu haben. Nötig seien hier ganz konkrete Schilderungen individueller Vorkommnisse mit Benennung des Zeitpunktes und der jeweils Beteiligten, deren Wahrheitsgehalt dann vom Gericht nachgeprüft werden könne.

Die Klägerinnen führten daraufhin an, dass bereits im April 2014 ein Überprüfungsverfahren der Heimaufsicht angelaufen sei, sie also gar kein neues Verfahren in Gang gesetzt hätten. Auch hätten sie und die Kolleginnen immer wieder intern mündlich Defizite in der Material- und Personalausstattung angesprochen. Wann genau, wer, worauf angesprochen worden war, konnten die Klägerinnen jedoch letztlich in der Verhandlung nicht mehr konkret darlegen oder gar beweisen. Die Beklagtenvertreter, also die Vertreter des Altenheimes, erklärten daraufhin, alle Vorwürfe seien unbegründet, konkrete interne Hinweise auf Mängel seien vor der Meldung an die Heimaufsicht nicht erfolgt und außerdem habe deren aktuelle unangemeldete Prüfung keinen der Vorwürfe bestätigt.

Die Vertretung der Klägerinnen enthielt sich weitgehend einer juristischen Beurteilung. Schade eigentlich, denn selbst wenn die Klägerinnen die vorherigen internen Hinweise nicht belegen könnten, legt dieser Fall nahe einmal die Frage aufzuwerfen, ob die Rechtsprechung wirklich eine derart strikte Stufenfolge auch dann verlangen kann, wenn man sich als Arbeitnehmerin lediglich  – wie hier – schriftlich und mit Unterschrift an eine zuständige Aufsichtsbehörde wendet. Anlass dies als rechtlich zulässig zu betrachten, bietet sowohl eine Passage im Heinisch-Urteil des EGMR, in der interne Hinweise und Hinweise an zuständige Behörden gleichgestellt werden, wie auch ein Grundrecht, das in der deutschen BAG-Rechtsprechung zum Whistleblowing leider meist nicht beachtete wird: Das Petitionsrecht aus Art. 17 GG. Dieses unterliegt keiner Vorab-Intern-Einschränkung und garantiert die Möglichkeit, sich schriftlich mit Bitten und Beschwerden an zuständige öffentliche Stellen zu wenden.  Genauso liegt der Fall hier ja.

Aber die Altenpflegerinnen schien angesichts der ständigen Rechtsprechung in Deutschland der Mut verlassen zu habendiesen, diesen kaum aussichtsreichen Kampf zu führen, wohl auch, weil zumindest einige zwischenzeitlich neue Jobs gefunden haben. Die Richterin verstand es überdies geschickt – u.a. in dem sie den Fall der Kündigung während der Probezeit zuerst behandelte – die Weichen Richtung Vergleich zu stellen. In jenem wurden schließlich die firstlosen in fristgemäße Kündigungen umgewandelt. Die Beklagte verpflichtete sich ein gutes Zeugnis zu erteilen und ausstehende Urlaubs- und Überstundenansprüche weitgehend abzugelten. Im Gegenzug mussten sich allerdings die Klägerinnen verpflichten, zukünftig keinerlei nachteiligen Äußerungen mehr über das Heim zu verbreiten. Am Rande der Verhandlung war auch noch zu erfahren, dass bereits am Vortag eine weitere Gerichtsverhandlung stattgefunden hatte. Dort hatte sich eine andere der 11 Altenpflegerinnen, die auf Unterlassung von Äußerungen verklagt worden war, im Rahmen eines Vergleichs ebenfalls verpflichtet, sich inhaltlich zur Sache nicht mehr öffentlich zu äußern.

Am Ende des Verfahrens steht für den Beobachter die Erkenntnis, dass die Gerichte in Deutschland die Loyalitätspflichten der Arbeitnehmer noch immer sehr hoch einstufen und ihnen vor allem auch erhebliche Beweislasten aufbürden. Für potentielle Whistleblower kann dies nur bedeuten, dass sie sich von Anfang an darauf einstellen und sich taktisch geschickt verhalten müssen. Sie sollten ein doppeltes Tagebuch führen, in welchem sie zum einen die Missstände so konkret wie nur irgend möglich mit Ort, Zeitpunkt, anwesenden Personen bzw. Zeugen und allen verfügbaren Belegen dokumentieren und außerdem auch festhalten, wann sie wen, wie genau über diese Missstände informiert haben und welche Reaktion darauf, z.B. auch in Form von Repressalien, folgten. Wo irgend möglich, sollten Hinweise darüber hinaus immer schriftlich (zumindest per Email) und so erfolgen, dass auch der Nachweis des Zugangs beim Empfänger erbracht werden kann. Vorsicht ist aber auch bei diesen internen Hinweisen angebracht.  Hier darf ebenfalls nur behauptet werden, was sich belegen lässt, sonst rennt man gleich in das nächste offene Messer! Aber selbst wenn man all dies beachtet, besteht trotzdem immer das Risiko, mit einem Hinweis auf Missstände auf der – natürlich inoffiziellen – Schwarzen Liste des Vorgesetzten oder Arbeitgebers zu landen. Die Folgen bekommt man dann in Form von Mobbing oder bei der nächsten Entscheidung über Prämien, Fortbildungen, interne Stellenbesetzungen, Beförderungen oder eine Vertragsverlängerung zu spüren. Dass all dies auf ein Whistleblowing zurückgeht wiederum, dürfte jedoch in den wenigsten Fällen gemäß den Anforderungen der Rechtsprechung nachweisbar sein.

Aus Sicht von Whistleblower-Netzwerk belegt auch dieser Fall wieder die Notwendigkeit einer klaren und handhabbaren gesetzlichen Regelung, die von Aufklärung und Beratung begleitet werden muss. Beschäftigte, die sich nicht vorab eingehend mit der Rechtsprechung zum Whistleblowing auseinandergesetzt oder unsere oder gewerkschaftliche Hilfe in Anspruch genommen haben, haben derzeit kaum eine Chance den häufig unklaren  Anforderungen der Rechtsprechung Genüge zu tun. Es gibt zu viele Fallstricke. Außerdem brauchen wir, ganz im Sinne von Art. 17 GG, eine Freigabe der Möglichkeit, sich auch direkt an zuständige Behörden wenden zu dürfen. Schließlich bedarf es dringend Beweislasterleichterungen für Whistleblower.

Frustrierend ist überdies, dass mit Vergleichen wie dem heutigen andere Beobachter abgeschreckt werden, selbst zum Whistleblower zu werden. Mit derartigen Schweigevereinbarungen – zu deren Abschluss den Betroffenen im konkreten Fall kaum eine Alternative blieb – wird darüber hinaus die öffentliche Diskussion über konkrete Fälle im Keime erstickt. Das öffentliche Interesse bleibt auf der Strecke.

Ermutigend war jedoch eine andere Begebenheit: Bei der Verhandlung waren neben wenigen Medienvertretern und einer Vertreterin von Ver.di auch mehrere Mitglieder der Initiative Pflege am Boden anwesend. Dieser bundesweite Zusammenschluss von Pflegenden, Gepflegten und Angehörigen macht auf generelle Missstände der derzeitigen Pflegesituation in Deutschland aufmerksam und fordert gesetzgeberische Reformen, wie z.B. die Festlegung von Standards und Personalschlüsseln, um eine menschenwürdige Pflege für alle zu erreichen. Derartige solidarische Aktionen, gerne auch bei der Unterstützung von Whistleblowern, sind ein richtiger und wichtiger Schritt um etwas zu verändern – nicht nur im Pflegebereich.

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