Whistleblower und die Wohlmein-Fraktion

„Ja sicher, ist Whistleblowing wichtig und Whistleblower brauchen mehr Schutz, aber letztlich muss im Einzelfall mit dem Geheimhaltungsinteresse abgewogen und müssen die Motive des Whistleblowers in die Beurteilung seiner Handlungen einbezogen werden. Wir wollen doch kein Denunziantentum und keine Querulanten sondern Whistleblower, die aus ehrenhaften Motiven handeln.“ So oder so ähnlich lautet die Auffassung vieler zum Thema, die auch in der gestrigen Diskussion bei Beckmann bei einigen der Diskutanten, insbesondere bei Herrn Ex-Innenminister Baum immer wieder mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kam. Fast ging es dabei unter als Brigitte Heinisch darauf hinwies, dass man zur Beurteilung eines Whistleblowings sich doch zuförderst einmal mit seinen Inhalten beschäftigen sollte. Aber Brigitte Heinisch hat Recht. Wenn erst mal die Suche nach den Motiven eröffnet und diese und die Abwägung im Einzelfall den Richtern überlassen wird, haben der Whistleblower und auch die Bekämpfung des Missstandes meist schon verloren.

Im Mittelpunkt jedes Whistleblowings steht der Hinweis auf einen Missstand. Dieser Hinweis muss auf seine Richtigkeit überprüft werden. Hierzu braucht es unabhängige Stellen, die dafür zuständig sind, hinreichende rechtliche Kompetenzen, genügend Sach- und Personalmittel zu einer zügigen Sachaufklärung und auch den Willen haben, Ihre Arbeit zu tun. Dafür zu sorgen, dass es diese gibt und potentielle Whistleblower diese kennen und kontaktieren können, ist eine Organisationspflicht des Staates. Der Fall von Brigitte Heinisch wurde erst deswegen zum Fall weil die zuständigen Stellen bei Vivantes und in und von Berlin, inklusiver der weisungsgebundenen Staatsanwälte, diese Voraussetzungen nicht oder zumindest nicht hinreichend erfüllten. Gleiches dürfte auch im Fall Snowden mit Blick auf den FISA-Court, die Senatsausschüsse und die internen Kontrollorgane bei NSA und Regierung gelten.

Wenn sich bei der Überprüfung der Fakten zeigt, dass der Whistleblower gegenüber einer solchen zuständigen Stelle einen im wesentlichen zutreffenden Hinweis auf einen tatsächlichen Rechtsbruch oder einen Missstand abgegeben hat, so muss dieser Hinweis auch rechtlich als zulässig angesehen und eingestuft werden. Der Staat darf – mal abgesehen von Spezialfällen wie dem Anwaltsgeheimnis – keine Geheimnisse schützen, die der Verdeckung von Rechtsbrüchen dienen. Der Whistleblower ist in diesem Fall durch effektive gesetzliche Regelungen und funktionierende Mechanismen zu ihrer Durchsetzung vor jeglicher Art von Benachteiligung zu schützen.

Dies muss aber auch dann gelten, wenn ein Hinweis sich bei genauer Untersuchung zwar als unzutreffend herausstellt, der Whistleblower aber davon ausging, dass seine Aussagen zutreffend sind. Nur wer bewusst oder grob leichtfertig falsche Behauptungen aufstellt und wem dies auch nachgewiesen werden kann, verdient keinen Schutz, sondern gegebenenfalls sogar zivil- und strafrechtliche Sanktionen – die es ohnehin heute schon gibt. Alle anderen Whistleblower, die sich an zuständige Stellen wenden, aber verdienen jenen Schutz und zwar gleichgültig, ob jemand ihre Motive als ehrenhaft oder weniger ehrenhaft einstuft.

Was aber sollte nun dort gelten wo ein Whistleblower sich an die Öffentlichkeit wendet? Hier ist die Gefährdungslage für ein etwaiges Geheimnis und seine Inhaber größer, daher könnte hier eine etwas andere Abstufung angebracht sein. Aber auch hier muss gelten: Was, wie Rechtsbrüche und tatsächliche Missstände, keinen Schutz verdient, sollte auch keinen erhalten! Demnach muss auch hier die erste Frage jene danach sein, ob ein Missstand tatsächlich vorlag. Ein Whistleblower, der nichts anderes tut, als darauf hinzuweisen, ist zu schützen. Wenn die Fakten stimmen und ein Missstand vorliegt, ist dieser Dreck das Problem. Derjenige, der nichts anderes tut, als auf den Dreck zu zeigen, sollte – jedenfalls in einem Rechtssstaat der den Namen verdient – nicht als Nestbeschmutzer, Denunziant oder Querulant verunglimpft werden nur weil einige vielleicht lieber gerne noch ein Weilchen länger weggeschaut hätten oder den Whistleblower nicht rein altruistische Motive (wer hat die schon und von wem sonst werden sie gefordert?) zu seinem Hinweis bewegten.

Wie aber sieht es nun in dem Fall des öffentlichen Whistleblowings aus, in dem sich der Hinweis als faktisch unrichtig herausstellt und jemand zu Unrecht verdächtigt wurde und dadurch vielleicht sogar Schäden erlitt? Auch hier gilt es wieder danach zu fragen, ob der Hinweisgeber dies wusste oder seine falschen Behauptungen grob leichtfertig quasi ins Blaue hinein aufstellte. Kann ihm dies nachgewiesen werden, sollte er hierfür in vollem Umfange haften und zur Verantwortung gezogen werden. In den anderen Fällen aber ist es angebracht, danach zu fragen, ob dem Hinweisgeber mildere Mittel als der Gang in die Öffentlichkeit zur Verfügung standen, ob es also eine zuständige Stelle im oben genannten Sinne gab, an die er sich wenden konnte, aber nicht gewendet hat. Dort, wo es eine solche Stelle nicht gab oder diese im konkreten Fall ihre Arbeit nicht richtig, nicht zeitnah oder nicht nachvollziehbar erledigte, sollte dem Whistleblower kein Vorwurf daraus gemacht werden mangels brauchbarer Alternative den Weg in die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Auch in diesem Fall verdient er Schutz.

Nur dort, wo ein Whistleblower sich in den Fakten täuscht und ihm tatsächlich ein anderer Weg als der Gang in die Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden hätte, mag man hieraus auch einen Vorwurf gegen ihn ableiten diesen nicht genutzt zu haben. In jenem Fall – aber wirklich auch erst hier – oder in Fällen in denen der Whistleblower mit seinen Offenbarungen weit mehr offenlegt als dies zur Missstandsaufdeckung nötig war, mag dann auch Raum für eine gerichtliche Abwägung im Einzelfall sein. Bei dieser wird dann aber auch stets die überragende Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und die Wichtigkeit der öffentlichen Debatte zu Fragen öffentlichen Interesses in einer Demokratie zugunsten des Whistleblowers zu berücksichtigen sein.

Die vorstehenden Fallgestaltungen und Überlegungen zeigen, dass die Frage nach dem Schutz von Geheimnissen und dem Schutz von Whistleblowern in vielen Fällen gelöst werden könnte und sollte ohne dass es auf Einzelfallabwägungen und Motive ankommt. Wenn der Gesetzgeber insoweit endlich verlässliche Regelungen und eine hinreichende Infrastruktur zuständiger unabhängiger Stellen – und zwar möglichst einheitlich im privaten und öffentlichen Sektor, über alle Rechtsbereiche und für alle Arten von Abhängigkeits- und Beschäftigungsverhältnissen – schaffen würde, entstünde jene Rechtssicherheit, die das derzeitige Abwägungschaos überwinden könnten. Dann würde jedem, der einen Missstand beobachtet oder zu beobachten glaubt, ein sicherer und klarer Weg gewiesen, wie er vorgehen kann: eine bessere Alternative zum derzeitigen Schweigen.

 

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