Freie Meinungsäußerung und Whistleblowing in Österreichs öffentlichem Dienst

Die Entscheidung der unabhängigen Berufungskommission im Fall des österreichischen Generalstabschef Edmund Entacher (108/13-BK/11 vom 03. November 2011) lässt interessante Rückschlüsse auf das Ausmaß des Beamten und Vertragsbediensteten zustehende Rechtes auf freie Meinungsäußerung zu.
Da Hinweise auf Missstände nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) auch in Ausübung dieses Rechtes erfolgen können, lassen sich weiters Rückschlüsse auf die Rechtmäßigkeit von Whistleblowing im österreichischen Staatsdienst ziehen. Dies umso mehr als mit der am 01. Jänner 2012 in Kraft getretenen  Dienstrechts-Novelle 2011 ein dienstrechtlicher Schutz für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber (d.h. Whistleblower) geschaffen werden (siehe § 53a  Beamtendienstrechtsgesetz, § 58b Richter und Staatsanwaltsdienstgesetzes sowie § 5 Abs. 1 Vertragsbedienstetengesetz).
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Österreich sowohl durch Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG) als auch durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbrieft.
Nun stellte die Berufungskommission im Fall Entacher fest, dass nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechtes zu Artikel 10 EMRK, „bei kritischen Äußerungen gegenüber Politikern (beim Minister handelt es sich um einen solchen) die Grenzen zulässiger Kritik weiter sind. Der Politiker hat selbstverständlich das Recht auf den Schutz seines guten Rufes, auch wenn er nicht als Privatmann handelt. Aber die Notwendigkeit dieses Schutzes muss abgewogen werden mit den Interessen einer offenen Diskussion politischer Fragen.
Weiters führte die Berufungskommission aus, dass „die politische Willensbildung betreffend der Agenden des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport dem Bundesminister für Landesverteidigung und Sport obliegt, dass aber wegen des verbrieften Rechts auf freie Meinungsäußerung in keiner Weise davon ausgegangen worden sei, dass sich der BW (bei Meinungsäußerungen) an die Auffassungen des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport zu halten habe“.
Nun hatte sich General Entachter in einem „Profil“ Interview vom 22. Jänner 2011 gegen eine Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht geäußert und damit der Meinung seines Ministers widersetzt.
Nun könne auch eine einmalige schwer wiegende Dienstpflichtverletzung, die gegen den Kernbereich der Dienstpflichten eines Beamten verstößt und auch sonst in keiner Weise eine Entschuldigung oder Rechtfertigung erfahren kann, zu einem Vertrauensverlust in den Beamten und somit zu seiner Untragbarkeit – mithin zu dessen Versetzung oder Entlassung – führen (vgl. VwGH 18.4.2002, 2000/09/0176). Das genannte Interview sei aber nicht geeignet, einen Vertrauensverlust des Ministers in den Chef des Generalstabs zu rechtfertigen, weil keines der Gründe, die eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Sinne des Artikels 10 Abs. 2 EMRK erlaube, vorgelegen habe.
Nur solche Einschränkung der Meinungsfreiheit sind gemäß Artikel 10 Abs. 2 MRK zulässig, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Notwendig sind solche Massnahmen, die sich aus einem „drigenden gesellschaftlichen Bedarf“ ergeben (siehe EGMR, Steel and Morris v. das Vereinigte Königreich, no. 68416/01, § 87, ECHR 2005-II).
Bei der Auseinandersetzung zwischen General Entacher und Verteidigungsminister Darabos ging es um die politische Frage der Beibehaltung der allgemeinen Wehrplicht. Zweifellos ist eine solche Frage als politisch zu qualifizieren, an der es in einer demokratischen Gesellschaft Interesse an einer offenen Diskussion gibt.
Anders als Privatpersonensetzen sich Politiker von vornherein unvermeidlich und wissentlich der eingehenden Kontrolle aller ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aus (vgl. dazu das Urteil des EGMR vom 8. Juli 1986, Lingens gegen Österreich, case number 12/1984/84/31).
Wie steht es jedoch mit dem Aufzeigen von Missständen durch öffentlich Bedienstete ? In nicht wenigen Fällen werden die Missstände politische Fragen darstellen, die einer offenen Diskussion zugänglich gemacht werden müssen. Doch wie steht es mit der Aufdeckung von Missständen unterhalb der Schwelle des Politischen ? Dabei ist natürlich zu gewärtigen, dass eine scharfer Umriss dieser Schwelle kaum möglich ist.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) wiederholt festgestellt, dass Staatsangestellte, die Missstände aufdecken, unter gewissen das Umständen ebenfalls in den Genuss des Artikels 10 MRK kommen.
Dieser schützt eine(n) BeamtIn insbesondere dann vor Repressalien durch den Dienstgeber, wenn er (oder sie) der einzige ist oder zu einer kleinen Gruppe gehört, welcher Umstände am Arbeitsplatz bekannt ist und daher am besten platziert ist, im öffentlichen Interesse dem Dienstgeber oder der Öffentlichkeit, Missstände anzuzeigen (siehe Guja v. Moldau [GC], no. 14277/04, § 72, 12. Februar 2008 und Marchenko v. Ukraine, no. 4063/04, § 46, 19.Februar 2009).
Erst jüngst hat der EGMR im Fall der WhistleblowerinBrigitte Heinisch wieder festgehalten, dass das Recht auf Meinungsfreiheit mit Verantwortung und Verpflichtungen einher geht. Daher müsse jede Person, die Informationen offenlegt, unter den gegebenen Umständen möglichst sorgfältig prüfen, ob diese auch den Tatsachen entsprechen, insbesondere wenn sie ihrem Arbeitgeber Verschwiegenheit und Loyalität schuldet Heinisch v. Deutschland, no. 28274/08 (Sect. 5) § 77 – 21. Juli 2011).
Im Falle bestehender Verschwiegenheitspflichten hat der EGMR in den beiden obgennannten Fällen Guja und Marchenko erklärt, dass Missstände zunächst dem oder der Vorgesetzten oder einer zur Entgegennahme solcher Hinweise zuständigen Behörde angezeigt werden sollte. Erst wenn sich dies eindeutig als impraktikabel erweise, könnten die entsprechenden Informationen als letzter Ausweg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (siehe Guja, § 73).
Also läuft es grundsätzlich auf eine Interessensabwägung zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit einerseits und den Verschwiegenheits- und Loyalitätspflichten andererseits hinaus, eine Abwägung die kaum anders als im Einzelfall vorgenommen werden kann.
Doch hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 28. Juli 2000, Zl. 97/09/0106, darauf hingewiesen, dass das Disziplinarrecht nicht dazu dient, die sachliche, in gebotener Form vorgetragene Kritik an tatsächlichen oder – aus der Sicht des Kritisierten – nur vermeintlichen Missständen zu verhindern, weil das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht nur für „Nachrichten“ oder „Ideen“, gilt, die ein positives Echo haben oder die als unschädlich oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören. Dies ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine „demokratische Gesellschaft“ nicht bestehen kann. Die Freiheit der Meinungsäußerung, die in Art. 10 EMRK verankert ist, unterliegt einer Reihe von Ausnahmen, die jedoch eng ausgelegt werden müssen (Art 10 Abs. 2 EMRK), wobei überzeugend nachgewiesen werden muss, warum die Einschränkungen erforderlich sind (VwGH 17.11.2004,  2001/09/0035)
Die Möglichkeit zur sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik ist ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen. Sie muss auch einem Beamten gegenüber der Behörde, der er angehört, offen stehen. Wenn ein Beamter Es bedeutet ferner keine Verletzung des § 43 Abs. 2 Beamtendienstrechtsgesetz (BDG 1979), wenn ein Beamter in der Öffentlichkeit andere Beamte oder die ganze Beamtenschaft, die Bundesregierung oder einen Bundesminister kritisiert, bedeutet dies noch keine Dienstpflichtverletzung  Eine disziplinäre Verantwortlichkeit begründet eine Kritik in solchen Fällen dann, wenn sie (abgesehen von der Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit) die durch § 43 Abs. 2 BDG 1979 gezogene Grenze überschreitet, indem sie geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben des Beamten ua. dadurch zu beeinträchtigen, dass sie den guten Ruf anderer oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung gefährdet (VfSlg. 14.316/1995).
Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit ist dort nicht geboten, wo keine schutzwürdige Interessen diese begründen. Bei der Beurteilung, ob ein Interesse schutzwürdig ist, sind die in Konflikt stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen (VwGH 29.11.2000, 2000/09/0079).
Anders als beim Whistleblowerschutz der Dienstrechts-Novelle 2011, wo es um Informantenschutz bei Korruption und anderen Wirtschaftsdelikten geht, war in den Erläuterungen zum Umweltinformationsgesetz der Informantenschutz im Umweltbereich sehr wohl die allgemeinere Überlegung wert, dass unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein objektiv berechtigtes Interesse hat, zählen.
Jedenfalls ist für grund- und menschenrechtliche Überlegungen des Gesetzgebers für die Einführung der Whistleblowerregelungen ab 01. Jänner 2012 keine Spur zu finden. Man wollte durch diese Regelungen vielmehr der seit 2008 geäußerten und wohl als lästig empfundene Kritik der Europarats-Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) – siehe den Wind aus den Segeln nehmen. Über das absolute Minimalerfordernis hinaus – mit Ausnahme der Einführung des Whistleblowerschutzes nicht nur für Beamte und Vertragsbedienstete, sonder auch Richter und Staatsanwälte – ist man weder qualitativ noch quantitativ hinausgekommen.
Qualitativ, weil man sich offenbar keine Gedanken zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Whistleblowing im allgemeinen gemacht hat, wiewohl der EGMR im Falle Heinisch, erst im vergangenen Sommer auf diese Frage eingegangen ist. Man hat sich offenbar auch nicht wie in Irland die Frage gestellt, ob Repressalien gegen WhistleblowerInnen, die  Korruption aufdecken, nicht wie in Irland unter Strafe gestellt werde sollten. Dabei gilt Österreich in OECD Kreisen als Oase der Korruption.
Quantitativ, weil man sich nicht die Frage gestellt hat, ob man Hinweisgeber, die auch andere Straftaten als Wirtschaftsdelikte aufdecken, schützen soll (der GRECO geht es ja nur um Korruptionsbekämpfung). Dies hätte – frei nach Kant – bedeutet, die Methode des des Whistleblowing bei Korruption zu einem allgemeinen Prinzip der Missstandsbekämpfung zu erheben. Aber kant‘sche Kategorien waren für den republikanischen österreichischen Gesetzgeber offenbar ebenso wenig naheliegend wie der Blick ins Vereinigte Königreich, wo Whistleblower ganz allgemein gesetzlich geschützt sind, d.h. nicht nur bei Offenlegung von Korruptionsdelikten sondern auch bei Offenlegung anderer rechtlicher Vergehen und Straftaten, einschließlich Umweltdelikten.
Ähnliches hätte man auch feststellen können, wenn man sich die Whistleblower Regelungen einer anderen, sogar im Inland ansässigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft, nämlich der Vereinten Nationen, zu dessen stolzen Mitgliedern Österreich zählt, angeschaut hätte.
Schließlich sei auch hier der Fall Heinisch erwähnt, wo es nicht um das Aufdecken von Korruption sondern von mangelnder hygienischer Grundversorgung in einem Pflegeheim ging. Der EGMR merkte in diesem Zusammenhang an, das die von der WhistleblowerinHeinisch offengelegte Information über die Qualität of Mangelhaftigkeit der Pflege wesentlich gewesen sei, um weiteren Missbräuchen vorzubeugen (vgl. § 71). Es wäre wohl insbesondere angesichts der in Österreich jüngst wieder ans Tageslicht gekommenen Kindesmissbrauch durch staatliche und kirchliche Institutionen, Whistleblower Regelungen nicht nur zur Eindämmung von Wirtschaftsdelikten, sondern auch von anderen Missständen einzuführen.
Der österreichische Gesetzgeber hat sich lediglich begnügt, weiterhin seinem „Patchwork“ Ansatz zu frönen und immer nur dann von Fall zu Fall zu reagieren, wenn Österreich international nicht anders kann und dessen Politiker sich bequemer Weise hinter internationale Gremien verstecken können, um notwendige Schritte zu setzen.
Dabei war man sich bei der Verabschiedung der Dienstrechts-Novelle 2011 durchaus dessen bewusst, das der Europarat via GRECO nicht nur die Einführung von Whistleblowerregelungen zur Unterstützung der Korruptionsbekämpfung urgiert hatte, sondern dass er via Ministerkomitee ganz allgemein die Rolle von Whistleblowern als Teil des „medialen Ecosystems“ bei der Verteidigung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung hervorgehoben hatte.
Ebenso war die Bundesregierung seit Ende September 2011 über die OECD Leitlinien für einen Whistleblowerschutz unterrichtet, die sich für eine umfassende und gegen eine fragmentierte Gesetzgebung auf diesem Gebiet ausgesprochen hatten. Auch Sanktionen gegen diejenigen, die Vergeltungsmassnahmen gegen Whistleblower ergreifen, werden von der OECD empfohlen. Doch dies alles wollte man offenbar in Österreich bei der Verabschiedung der Dienstrechts-Novelle 2011 nicht sehen.
Whistleblowing Austria / Walter Gehr

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