Buchbesprechung: Neumann – Whistleblowing: Erfordernis einer gesetzlichen Schutzregelung

Im Mittelpunkt der im September 2009 abgeschlossenen juristischen Promotion, steht die Frage, wie ein gesetzlicher Whistleblowerschutz in Deutschland ausgestaltet werden sollte. Dabei stellt die Autorin zunächst in verständlicher Form und Sprache die bereits bestehenden Rechtsnormen vor, die in bestimmten Sonderfällen von Whistleblowing-Konstellationen einen gewissen Schutz bewirken können, so z.B. § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 138 StGB sowie vereinzelte Normen im Umweltschutz- oder Datenschutzrecht. Kurz geht sie auch auf die erst kürzlich eingeführten beamtenrechtlichen Spezialnormen ein, die aber ebenfalls einen sehr begrenzten Anwendungsbereich haben. Recht kurz fällt leider auch die Betrachtung der relevanten Grundrechte aus. Nach der Darlegung der begrenzenden Geheimnisschutznormen (z.B. § 203 StGB und 17 Abs. 1 UWG) wird dann die Rechsprechung, beginnend mit dem Reichsgericht unter die Lupe genommen. Die Unterschiede, ja Widersprüche, zwischen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts werden dabei jedoch nicht genügend klar herausgearbeitet.

Gut hingegen ist die kompakte Darstellung zahlreicher konkreter Whistleblowingfälle aus den Bereichen Korruption, Öffentlicher-Dienst, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Datenschutz und Finanzsektor. Neben der rechtlichen, wird dabei auch die gesundheitliche und gruppenpsychologische bzw. gruppensoziologische Problematik des Whistleblowings verdeutlicht.  Voll zuzustimmen ist Neumann im Resümee: „dass Whistleblowing nicht nur eine Randerscheinung ist, sondern in nahezu allen Bereichen der Arbeitswelt relevant werden kann.“ Weiter heißt es sogar: „In einer vom Streben nach kurzfristigen Gewinnen geleiteten Gesellschaft, die auch nicht vor skrupelosen Machenschaften zurückschreckt, stellt Whistleblowing oftmals das einizige Mittel dar, um entsprechende Misssände aufzudecken.“

In weiteren Kapiteln stellt Neumann die Rechtslage für Whistleblower in den USA und Großbritannien dar und geht auch auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und praktischen Ausgestaltungen der in Deutschland derzeit immer häufiger anzutreffenden betrieblichen Hinweisgebersysteme ein.

Einige der Grundaussagen hinsichtlich des ist & soll des gesetzlichen Whistleblowerschutz die Neumann trifft, sind durchaus zutreffend. So z.B. wenn sie hinsichtlich der derzeitige Rechtsprechung ausführt: „Durch das somit statuierte Erfordernis der Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand des konkreten Einzelfalls bleibt die Beantwortung der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Anzeige bis zum Abschluss des jeweiligen Verfahrens weiterhin unsicher“. „Neben den arbeitsrechtlichen Sanktionen müssen Anzeigeerstatter auch mit einer Vielzahl außerrechtlicher Reaktionen rechnen.“ „Ungeachtet möglicher Schwierigkeiten bei der Einführung von Whistleblower-Klauseln und -Systemen in einem Unternehmen vermögen feiwillige Maßnahmen einen umfassenden Schutz von Whistleblowern regelmäßig nicht zu gewährleisten.“

Nach einer sehr umfangreichen Darstellung des Vorschlages dreier Bundesministerien zum Whistleblowerschutz aus dem Jahre 2008 sowie der dazu durchgeführten Bundestagsanhörung kommt die Autorin, zu dem Ergebnis dass jener Vorschlag in einigen Punkten unzureichend war und formuliert ihrerseits für einen anzustrebenden gesetzlichen Whistleblowerschutz: „Ziel der Vorschrift ist, klare und eindeutige Regelungen im Bereich des Informantenschutzes zu schaffen, und damit die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Beschäftigte die über (besonders) schwerwiegende Missstände in ihrem Betrieb oder Unternehmen informieren, deutlich zu verbessern“.

Schon mit der soeben zitierten Formulierung „(besonders) schwerwiegende Missstände“ eröffnet die Autorin in ihrem dann folgenden eigenen Vorschlag für einen Gesetzestext dann aber genau wieder jene Unkalkulierbarkeit für die Whistleblower die sie zuvor kritisiert hatte.  Mehr noch, auch ihr Text enthält die schon bezüglich des Entwurfs für § 612a BGB kritisierten weiteren Unsicherheitsformeln, nach denen soweit „zutmutbar“ zunächst internes Whistleblowing vorrangig ist und der Arbeitnehmer ansonsten Anhaltspunkte darlegen muss, warum er zur Auffassung gelangte, dass der Arbeitgeber dem Abhilfeverlangen „nicht ausreichend“ nachkommen wird. Da hilft es dann auch wenig, wenn die Autorin ihren Vorschlag anders als die bei § 612a BGB-E vorgesehen war, zu Recht auch auf arbeitnehmerähnliche Beschäftigte ausweiten, die Zahl der Regelbeispiele erhöhen und außerbetriebliche Ansprechsstellen expliziter im Gesetz nennen will.

Die beiden Grundprobleme hat Neumann verkannt. Erstens gibt es nämlich, jedenfalls im Anwendungsbereich des Artikels 17 GG, also bei nicht anonymen, schriftlichen Anzeigen an staatliche Stellen, gar keinen Grund dieses Grundrecht im Arbeitsverhältnis einzuschränken. Für eine Abwägung mit Arbeitgeberinteressen und die von Neumann und anderen herangezogene Verhältnismäßigkeits- bzw. Zumutbarkeitsprüfung und die daraus abgeleitete grundsätzliche Stufenfolge (zunächst intern) ist im Bereich jener schrankenlosen Grundrechtsausübung gar kein Raum. All jene Einschränkungen könnten nur dann mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz gerechtfertigt werden, wenn es legitime verfasssungsmäßig geschützte, entgegenstehende Arbeitgeberinteressen gegen eine Anzeige von Rechtsverstößen durch Arbeitnehmer bei Behörden gäbe. Dies ist nicht der Fall. Entgegenstehenden Arbeitgeberinteressen z.B. aus Artikel 14, 12 und 2 Abs. 1 GG (z.B. Geheimnisverrat, Rufschädigung, Vertrauensverlust) lassen sich nur finden, soweit es um das öffentliche Bekanntwerden von unberechtigten Vorwürfen geht. Darum geht es aber bei einer, seitens des Whistleblowers nicht öffentlich bekannt gemachten, behördlichen Anzeige gerade nicht.  Behördliche Untersuchungen zur Klärung von Rechts- und Tatsachenfragen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben haben Arbeitgeber hingegen genauso als allgemeine und unvermeidbare Begleiterscheinung eines Rechtsstaates hinzunehmen wie jedermann. Des weiteren können sich aus den Grundrechten der Arbeitgeber auch Sorgfaltspflichten zur weitestgehenden Geheimhaltung anzustrengender Untersuchung ergeben, dies aber – in der hier relevanten Konstellation – nur gegenüber den Behörden und nicht gegenüber dem Whistleblower.

Zweitens sind die Beibehaltung einer Stufenfolge und das Ziel einer ex-ante Vorhersehbarkeit der Zulässigkeit für den Whistleblower  – und dies zeigt, obwohl sie sich dies nicht eingestehen will, letztlich auch die Untersuchung der Autorin erneut – prinzipiell unvereinbar. In jener Konstellation muss es zwingend immer weiche Eskalationskritierien geben, denn selbst die vollständige Durchführung einer internen Untersuchung, darf nicht zur vollständigen Sperrung der Einschaltung staatlicher (Monopol-!)Gewalt führen, da es sich dabei ja immer um ein bloßes Fake handeln könnte. Das Ziel der Sicherstellung der Vorhersehbarkeit ist andererseits aber gesellschafts- und demokratiepolitisch – wie die Autorin ebenfalls zeigt – zwingend. Nur so kann wenigsten eine Abschreckung von notwendiger Information durch Whistleblower vermieden werden (dass darüber hinaus eine explizite Förderung von Whistleblowing nötig wäre steht auf einem anderen, von der Autorin leider völlig ignorierten, Blatt).

Demnach sollte es zumindest keinen gesetzlichen Zwang zur Beachtung eines Vorrangs interner Klärung vor behördlichen Anzeigen geben. Was andererseits aber nicht bedeutet, dass dort wo Whistleblower dies wollen (und Studien zeigen, dass viele Whistleblower dies wollen), sie nach wie vor zunächst eine interne Klärung anstreben können und sollten. Außerdem hätten in einer so zu schaffenden Wahlsituation des Whistleblowers die Arbeitgeber auch einen viel größeren Anreiz Hinweisgebersysteme nicht nur an der Sicherung der eigenen Informationsherrschaft, sondern auch mit Blick auf deren Akzeptanz bei den Beschäftigten auszugestalten. Schließlich zeigt der Blick auf die praktischen Konsequenzen der Regelungen des Public Interest Disclosure Act (PIDA) in Großbritannien und das dort seit über 10 Jahren geltende faktische Wahlrecht des Whistleblowers zwischen der Information der zuständigen Behörde und des Arbeitgebers, dass eine solche Regelung durchaus auch mit Arbeitgeberinteressen vereinbar ist.

Fazit: Das Buch von Anneli Neumann enthält einen guten Überblick über die rechtlichen und tatsächlichen Probleme des Whistleblowings in Deutschland und eine zutreffende Darstellung der wesentlichen Argumente der Anhörung zu § 612a BGB-E aus dem Jahre 2008. An den entscheidenden Punkten gelingt es der Autorin jedoch nicht, Vorschläge zu machen, die den von ihr selbst zuvor herausgearbeiteten Notwendigkeiten effektiven Whistleblowerschutzes genügen.

Neumann, Anneli: Whistleblowing und die Frage nach dem rechtspolitischen Erfordernis einer gesetzlichen Schutzregelung; ISBN: 978-3-8325-2411-1; 2010, [Logos-Verlag]

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