Buchbesprechung: Düsel, Gespaltene Loyalität

Rechtsvergleichende Juristische Promotionen sind manchmal etwas für Leute die unbedingt noch einen Doktortitel brauchen und zufällig auch eine oder mehrere Fremdsprachen beherrschen. Ist ja auch kein Problem, auf ein paar Seiten mal schnell die Regelung in Land A, B und C dargestellt und fertig ist die Kiste.

Manchmal ist die Sache auch anders und es entsteht ein lesenswerter Einblick in unterschiedliche Kulturen und Rechtstraditionen und -praktiken, vor allem wenn der Blick auch die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht aus den Augen verliert. Ein solches Werk ist Jens Düsel mit seine Promotion bei Prof. Dr. Drs. h.c. Spiros Simitis gelungen. Auf 461 Seiten erfahren auch Menschen, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigen, noch so einiges Neues über Whistleblowing und Kündigungsschutz in Deutschland, Großbritannien und Frankreich.

Ein Highlight ist bereits das Eingangskapitel in dem das psychologische Dilemma des Whistleblowers und die Gefahr der Stigmatisierung ebenso dargestellt wird, wie die  historische Wandlung des Begriffs des Denunzianten und die Entstehung und Wandlung in der Konnotation des Begriffs „Whistleblower“. Auch die Passagen in denen der Autor Whistleblowing zum Prozess der Flexibiliserung von Beschäftigungsverhältnissen und verändertem Arbeitnehmerbild in Beziehung setzt, zeigen, dass sich hier jemand nicht nur mit Paragraphen beschäftigt hat. So beschreibt er z.B. auch unter Verweis auf Jeremy Bentham und seine Beschreibung des  „Panopticon“ aus dem Jahre 1787,  die Gefahr moderner Hinweisgebersysteme, die, unter dem Deckmantel von Ethik-Richtlinien, die weiterhin fortbestehende Interessendivergenz zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten verschleiern und durch Anzeigepflichten die Beschäftigten in einen permanenten Sichtbarkeitszustand stellen und zum Prinzip ihrer eigenen Unterwerfung machen könnten.

Im Mittelpunkt des Buches steht dann die Frage der Einschränkungen der Grundfreiheiten des Arbeitnehmers durch das Arbeitsverhältnis. Es geht also um die individuelle Ebene. Darum wann der Mitarbeiter zum Whistleblower werden darf. Wobei in allen drei Ländern hierfür vielfältige Kriterien, wenn auch in unterschiedlicher Weise zu beachten sind. Es geht um Grundrechte wie Meinungs-, Petitions- und allgemeine Handlungsfreiheit, um die generellen Vertragserfüllungs-, Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichten der Abeitnehmer aber auch darum welche anderen Umstände des Einzelfalls zu beachten sind um die Zulässigkeit von Whistleblowing in Deutschland, Großbritannien und Frankreich beurteilen zu können: z.B. der Beschäftigungsstatus des Enthüllenden (auch aus dem öffentlichen Sektor), der Adressat, der in Rede stehende Missstand, besondere Anzeigepflichten, die Form, aber auch weichere Kriterien wie Motivation, Sorgfaltspflichten und vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wer mehr über die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit von Whistleblowing wissen will, findet in diesem gut strukturierten Buch viele Informationen und noch mehr weiterführende Hinweise. Das Schlusskapitel bietet einen Schnellüberblick über die wichtigsten Fragen.

Anzumerken ist allerdings auch, dass ein gewisser Hang zu Schachtelsätzen und auch die Gliederung nach Einzelfragen statt nach Ländern die Verständlichkeit manchmal etwas erschweren. Peinlich für eine juristische Dissertation aus dem Jahre 2008 ist das Auftauchen von § 21 Abs. 6 GefStoffVO, da diese Vorschrift, welche in der Fassung der GefStoffVO 1999 enthalten war und eine Arbeitnehmeranzeige an Behörden explizit zuließ, schon anlässlich der Neufassung jener Verordnung vom 23.12.2004 (BGBl. I S. 3758) aufgehoben wurde. Da hilft es dann auch wenig, dass dies auch in anderen Teilen der juristischen „Fachliteratur“ lange nicht zur Kentniss genommen wurde.

Anders als andere Dissertationen zum Thema beschränkt Düsel sich weitgehend auf die Darstellung des Ist-Zustandes und weist kaum darüber hinaus. Von jemandem der sich so intensiv mit der Materie beschäftigt hat hätte man gerne auch bei den Details mehr Vorschläge gehört, was rechtlich getan werden könnte, um Whistleblowing zugleich als Grundrechtsentfaltung des Einzelnen und als Innovations- und Riskoerkennungsmechanimus für Unternehmen und Gesellschaft besser zu nutzen.  Auch scheint der Blick manchmal doch noch zu sehr in das Gesetz und nicht in auf die Wirklichkeit zu gehen, insbesondere wenn es um die Darstellung von Beweislastregeln geht oder auch insoweit als die möglichen nachteiligen Folgen legalen Whistleblowings, man denke nur an Mobbing, leider weitgehend ausgeblendet werden. Gerade letzters kann oft schädlicher als eine Kündigung wegen Whistleblowings sein, da vor dem oft dennoch folgenden Verlust des Arbeitsplatzes noch jener der Gesundheit steht.

Andererseits finden sich aber bei Düsel auch Stellen in denen Whistleblower deutlich gewarnt werden, wenn es z.B. heißt: „Die Einschaltung des Betriebsrates ist indes stets mit dem Risiko verbunden, dass die Unternehmensleitung Maßnahmen zur Verschleierung der vom Arbeitnehmer behaupteten Missstände vornimmt. Mitunter wird der Betriebsrat auch selbst in involviert sein … bzw. sich vorrangig für den Erhalt von Arbeitsplätzen interessieren und deshalb wenig motiviert sein, an der Aufdeckung und Beseitigung illegaler Missstände mitzuwirken.“

Düsel, Jens: Gespaltene Loyalität — Whistleblowing und Kündigungsschutz in Deutschland, Großbritannien und Frankreich; ISBN: 978-3-8329-3995-3; 2009. [b]

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