Unser Brief an Katarina Barley

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Barley,

wir wenden uns heute noch einmal an Sie mit der dringlichen Bitte: Schützen Sie Whistleblower effektiv im Interesse von Demokratie und Menschenrechten. Es liegt in den kommenden Tagen in Ihrer Hand zu entscheiden, ob Sie eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern oder vor Whistleblowern auf den Weg bringen wollen.

Kurt Tucholsky, einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik, schrieb 1921 in der Weltbühne:

„Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“

Wir vom Whistleblower-Netzwerk Deutschland (WBNW) erfahren täglich, was es auch hundert Jahre später noch heißt „Nein“ zu sagen. Bitte lesen Sie unser angefügtes Schreiben an die Deutsche Telekom in Sachen des ehemaligen „Experte Vergütung“ und Whistleblowers Joachim Wedler und die zynische, 6-zeilige Antwortmail der Telekom. Da erleben Sie hautnah, wie es einem geht, der versucht einen Missstand zuerst „intern“ im eigenen Unternehmen abstellen zu lassen: Er steht privat und beruflich vor einem Scherbenhaufen.

Der Whistleblower Joachim Wedler deckte auf, dass die Toll Collect GmbH für den Betrieb des LKW-Maut-Systems zu hohe Betriebskosten beim Bund abrechnen wollte.

Solche Schicksale provozieren Sie, wenn Sie tatsächlich auf dem „Vorrang der internen Abhilfe“ beharren. Das ist eine Perversion der Idee des Whistleblowing.

Der SPD-Gesetzentwurf zum Whistleblowerschutz von 2012 erkannte keinen „Vorrang der internen Abhilfe“.

Das von der deutschen Wirtschaft favorisierte „Stufenmodell“ will genau dies in Stein gemeißelt sehen: Dass ein Arbeitnehmer Missstände zuerst dem Vorgesetzten oder einem internen Hinweisgebersystem meldet und sich erst nach Monaten „extern“ an die Strafverfolgungsbehörden wendet. Unnötig, die Implikationen dieser Forderung für das öffentliche Interesse an Aufklärung von Straftaten und für den Whistleblower selber darzulegen. Wer übernimmt dafür eigentlich mehr als die sogenannte politische Verantwortung?

Dieses „abgestufte Meldeverfahren“ macht das empirisch unbegründete Misstrauen deutlich, das allen Hinweisgebern gegenüber in Wirtschaft und Behörden vorherrscht. Letztlich soll dieser erzwungene Meldeweg deren Erstzugriff auf brisante Informationen sicherstellen. Unter dem Vorwand möglicher „unlauterer“ Motive aller Whistleblower schafft er die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung. Die grundsätzliche Annahme über die Motivlage der HinweisgeberInnen ist deren Schädigungsabsicht.

Wollte Joachim Wedler sein Unternehmen TollCollect schädigen oder vielmehr die Bundesregierung und die SteuerzahlerInnen vor Abrechnungsbetrug schützen? Wollte ich, Martin Porwoll, einen ehrbaren Bottroper Apotheker schädigen oder Krebspatientinnen vor Krankheit, Elend und Tod bewahren?

Martin Porwoll deckte in der Alten Apotheke in Bottrop die systematische Unterdosierung von Krebsmitteln durch seinen Arbeitgeber auf.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schreibt in seiner ständigen Rechtsprechung ein Stufenmodell der internen-externen Meldewege aus gutem menschenrechtlichen Grund nicht vor. Auch nicht im deutschen Fall der Brigitte Heinisch. Warum will es dann die deutsche Regierung tun?

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Barley: Lassen Sie das nicht zu. Setzen Sie denen, die darauf bestehen wollen, entgegen: „Keiner hat das Recht zu gehorchen.“ (Hannah Arendt).

Mit freundlichen Grüßen
Martin Porwoll (Bottrop)
Annegret Falter (Whistleblower-Netzwerk, Vorsitzende)

cc:
Herrn Staatssekretär Dr. Böhm
The Romanian Presidency
Vice President Timmermans and Commissioner Jourova
Virginie Roziere MEP

Anlage:

Unser Schreiben an die Deutsche Telekom AG
Die Antwort der Deutschen Telekom AG

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