Buchbesprechung: International Handbook on Whistleblowing Research

Das Handbuch der Whistleblowing-Forschung enthält insgesamt 21 Aufsätze renommierter internationaler Wissenschaftler, unterschiedlichster Fachrichtungen, die sich seit langem mit den verschiedenen Aspekten des Themas Whistleblowing befassen.Viele von ihnen arbeiten auch im International Whistleblowing Research Network (IWRN) zusammen, welches seit 2009 koordiniert wird von David Lewis, Jura-Professor an der University of Middlesex in London, und allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern offen steht, die zum Thema Whistleblowing forschen.

Deutsche und kontinentaleuropäische Forscher sind im Netzwerk und im Buch leider bisher kaum vertreten. Eine Ausnahme im Handbuch ist Prof. Björn Fasterling, der an der EDHEC Business School in Lille Recht und Wirtschaftsethik lehrt und in seinem rechtsvergleichenden Beitrag u.a. die These vertritt, dass beim Whistleblowing eine Instrumentalisierungstendenz gerade im Bereich Compliance zu beobachten sei und die freiheitliche Dimension des Whistleblowings davon zu unterscheiden sei. Während dieser Beobachtung grundsätzlich durchaus zugestimmt werden kann, erscheint Fasterling dem Rezensenten allerdings zu optimistisch, was die Rolle des Heinisch Urteils in der Nutzbarmachung der Freiheitsgrundrechte für Whistleblowing in Deutschland angeht. Die seither ergangene Rechtsprechung belegt jedenfalls keine klare Abkehr von der Tendenz der Gerichte den Artikeln 5, 17 und 2 Abs. 1 GG, wenn überhaupt, allenfalls eine untergeordnete Relevanz und keine entscheidende Bedeutung bei der Entscheidung von Whistleblowerfällen zuzuerkennen.

Der Hauptteil des Handbuchs gliedert sich in drei Teile. Im ersten Abschnitt werden Forschungsgrundlagen dargestellt und diskutiert, also z.B.: die Definitionen der Begriffe Whistleblower und Wrongdoing/Missstand aber auch das Verhältnis von Whistleblowing und Macht sowie Whistleblowing und Kultur und methodische Fragen zum Forschungsdesign. Besonders interessant ist dabei die Herausarbeitung der Unterschiede von gemeldeten Missständen hinsichtlich der Dimensionen: subjektiv <-> objektiv; bewertend <-> faktenschildernd; selten <-> häufig sowie nach dem Grad der Berührtheit des Öffentlichen Interesses und dem Grad der Verletzlichkeit der betroffenen Personen oder Gruppen. Spanned ist auch der Versuch den klassischen Begriff des Whistleblowers, der als Organisationsinsider auf nicht nur ihn betreffende Missstände hinweist, abzugrenzen von Beschwerden Betroffener, sonstigen Beschwerden von nicht-Insidern, von Gewerkschaftsaktivitäten und von sonstigen Aktivisten und dabei den Begriff „Bellringer“ einzuführen für jene, die im öffentlichen Interesse auf Missstände hinweisen, ohne Insider zu sein. Mal abgesehen davon, dass genau jener Begriff des Glockenläuters sich in den Niederlanden als Übersetzung für Whistleblower etabliert hat, besteht hier aber wohl das Problem, dass sich die Grenzen zwischen In- und Outsider bei modernen Organisationen immer weiter verwischen und jedenfalls mächtige Organisationen Hinweisgebern teilweise auch dann erhebliche Repressalien zufügen können, wenn es sich bei ihnen nicht um Insider handelt.

Im zweiten Abschnitt geht es um Organisationskultur und Reaktionen also um zentrale Fragen des Whistleblowing-Prozesses wie z.B. die Motive der Whistleblower, Unterschiede zur Untätigkeit, das Leiden von Whistleblowern, die Rolle der neuen Medien, Adressaten von Whistlelblowing und die Rolle des Managements. Dabei wird immer wieder auch die Frage gestellt, wie empirische Forschung diesen Phänomenen habhaft werden kann und wo die Grenzen der jeweiligen Forschungsansätze liegen. Nicht desto trotz finden sich neben vielen offenen Frage hier auch einige klare Ergebnisse: So zeigt sich, dass Organisationen die Wahrscheinlichkeit der Meldung von Missständen erheblich erhöhen können, wenn die Organisationskultur Beschäftigte dazu ermuntert und diese davon ausgehen können, dass ihren Meldungen nachgegangen wird, sie Unterstützung beim Whistleblowing erhalten und keine Repressalien erleiden müssen. Klar ist auch: Whistleblower sind keineswegs immer nur von altruistischen Motiven geleitet, vielfach besteht vielmehr ein Motivationsmix welcher von Außen kaum restlos aufzuklären sein wird. Konsequenz aus dieser Erkenntnis sollte nach Meinung der Forscher vor allem sein, dass sich Adressaten von Whistleblowing nicht von Spekulationen über Motive ablenken lassen sollten. Sie sollten sich statt dessen vielmehr um den gemeldeten Missstand und um dessen Aufklärung und ggfls. Bekämpfung bemühen und sicherstellen, dass es zu keinen Repressalien gegenüber dem Whistleblower kommt.

Im dritten Abschnitt geht des vor allem um rechtliche Fragen und um Forschungsansätze hinsichtlich des Schutzes von Whistleblowern in der Praxis, bevor Brian Martin sich abschließend damit beschäftigt welche Art von Forschung Whistleblower wollen und brauchen. Die Kapitel zu den rechtlichen Fragen enthalten dabei u.a. konkrete Belege für den Erfolg des amerikanischen false-claims-act Modells beim Kampf gegen betrügerisches Handeln von Konzernen und daraus abgeleitet ein Plädoyer für die Übertragung von Elementen jenes Modells auf die internationale Ebene. Demgegenüber ist das strafrechtliche Vorgehen gegen jene, die Whistleblower diskriminieren, selbst dort wo es rechtlich möglich ist, praktisch nicht wirksam. Forschungsbedarf besteht u.a. im Bereich des Whistleblowings in internationalen Organisationen, was allerdings auch die größere Verfügbarkeit entsprechender Daten voraussetzen würde.

Nicht nur an dieser sondern auch an vielen weiteren Stellen bietet das Handbuch einerseits einen guten Überblick über die bisherige Forschung zum Whistleblowing (nicht zuletzt durch die verarbeitete Literatur, die in vielen Fußnoten und im 60seitigen Literaturverzeichnis dokumentiert wird) und zugleich viele Anregungen für weitere Forschungsansätze. Jene Forschung sollte dabei nicht nur Selbstzweck sein, sondern stets auch Anregung und Hilfestellung, für all jene, denen die Aufdeckung und Bekämpfung von Missständen am Herzen liegt. Das Handbuch und die Arbeit von IWRN jedenfalls leisten dazu einen nicht unerheblichen Beitrag.

Brown, A. J., Lewis, David; Moberly, Richard; Vandekerckhove, Wim; (Eds.): International Handbook on Whistleblowing Research; ISBN: 978-1-78100-678-8; 2014. 

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