Replik in Sachen Gesetzesentwurf der Grünen

Die aufmerksamen Leserinnen und Leser dieses Blogs haben ja mitbekommen, dass die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen einen Entwurf für ein Gesetz zum Whistleblowerschutz zur öffentlichen Diskussion gestellt hat. Hierauf hatten wir mit einer Presseerklärung und einer ausführlichen Stellungnahme reagiert. Auf einige unserer Kritikpunkte hatten dann wiederum die Grünen in ihrem Blog reagiert. Diese Reaktion (einfach eingerückt) und die offizielle Replik des Whistleblower Netzwerk e.V. darauf (doppelt eingerückt, hier auch als PDF verfügbar) dokumentieren wir nachfolgend.
Mitdiskutieren ist erwünscht und geht über die Kommentarfunktion dieser Blogmeldung oder auch direkt bei der entsprechenden Meldung der Grünen, wo wir unsere Replik auch als Kommentar posten.

Büro Hönlinger/Notzsagte am 8. Dezember 2011 um 13:55 :
Sehr geehrte Damen und Herren vom Whistleblower-Netzwerk,
vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme zu unserem Entwurf und die konstruktive Kritik. An dieser Stelle möchten wir zumindest auf die Mehrzahl Ihrer Punkte näher eingehen:

Liebe Frau Hönlinger, lieber Herr v. Notz,
liebe Bundestagsfraktion,
vielen Dank für den Mut zur öffentlichen Auseinandersetzung mit Punkten unserer Kritik am Entwurf auf die wir gerne hiermit replizieren möchten:

Die Einbeziehung von sogenannten arbeitnehmerähnlich Beschäftigten in die Whistleblower-Regelung ist aus unserer Sicht problematisch. Da diese in der Regel nicht in einem Dauerschuldverhältnis mit einer Person stehen, sondern sie immer wieder neue Verträge (z.B. Dienst- oder Werkverträge) mit dieser abschließen, stellt sich die Frage welche Rechtsfolgen ein Maßregelungsverbot für den entsprechenden „Auftraggeber“ nach sich ziehen würde. Wenn die arbeitnehmerähnliche Person nicht wegen ihres Hinweises benachteiligt werden darf, würde sich daraus faktisch ein Kontrahierungszwang für den „Auftraggeber“ ergeben. Dies wäre jedoch nicht nur im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit problematisch, sondern würde auch erhebliche Folgeprobleme nach sich ziehen. Denn es müsste festgelegt werden, wie lange ein solcher Kontrahierungszwang bestehen sollte.

Was die von uns angeregte Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Beschäftigter angeht, so geht diese zurück auf den Gedanken, dass gesetzlicher Whistleblowerschutz einen weiten persönlichen Geltungsbereich haben sollte (vgl. Nr. 5 der Empfehlungen von Transparency International und Nr. 5 der Zusammenstellung von International Best Practice durch GAP), wichtige Informationen für die Behebung von Missständen also nicht nur deswegen nicht verfügbar werden, weil der sie kennende Insider keinen formellen Arbeitsvertrag hat. Zuletzt haben dies auch G20 und OECD im dritten Spiegelstrich zu Nr. 2 ihrer Leitlinien zum gesetzlichen Whistleblowerschutz bestätigt. Dieser lautet (eigene Übersetzung): „- Schutz wird öffentlichen und privaten Beschäftigten gewährt, und zwar nicht nur fest angestellten Arbeitnehmern und Beamten, sondern auch anderen Personen wie Beratern, Auftragnehmern, befristet Beschäftigten, ehemaligen Mitarbeitern, Freiwilligen, etc.;“.
 
Dem deutschen Recht ist eine Erstreckung von Schutzregelungen auf arbeitnehmerähnliche Beschäftigte ebenfalls nicht fremd (z.B. §§ 5 Abs. 1 ArbGG, 2 BurlG, 12a TVG), insbesondere gilt dies auch im Rahmen des AGG gemäß dessen § 5 Abs. 1 Satz 2.
 
Abgesehen davon, dass jede verbindliche gesetzliche Regelung des Vertragsrechts immer auch einen – vom Gesetzgeber allerdings als notwendig und gerechtfertigt angesehenen und verfassungsrechtlich überprüfbaren – Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellt, stellt sich die von Ihnen angesprochene Problematik des Kontrahierungszwangs letztlich in gleicher Weise bei der Frage der Nichtverlängerung befristeter Arbeitsverträge „normaler Arbeitnehmer“. Hier wie dort soll unserer Meinung nach kein genereller Kontrahierungszwang geschaffen werden, eine diskriminierende Verwehrung eines Folgevertrages, der ohne das Whistleblowing des Beschäftigten sicherlich zustande gekommen wäre (und hier kann als Indiz regelmäßig die Behandlung von Nicht-Whistleblowern in gleicher Situation sowie die Behandlung von Whistleblowern in der Vergangenheit gelten) sollte aber hier wie dort ausgeschlossen werden.

Im Fall von Leiharbeitsverhältnissen besteht nach unserer Auffassung keine Schutzlücke. Wenn der Arbeitnehmer beim Entleiher Missstände aufdeckt geschieht dies auch „im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit“. Er muss sich demnach zunächst an seinen Arbeitgeber also den Verleiher wenden und kann unter den entsprechenden Voraussetzungen auch Hinweise an externe Stellen und an die Öffentlichkeit geben. Hinweise ggü. dem Entleiher sind ohne weiteres möglich. Von diesem drohen ihm auch keine rechtlichen Nachteile, da er mit diesem nicht in einem vertraglichen Verhältnis steht.

Den Regelungsbedarf im Zusammenhang mit Leiharbeitsverhältnissen sehen wir vor allem dann, wenn der Whistleblower sich aufgrund der Sachnähe und evtl. auch Eilbedürftigkeit mit Hinweisen an den Entleiher wendet, da dieser nicht „Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle“ iSd. § 612b Abs. 1 des Entwurfes ist, und auch die weiteren Absätze hier nicht einschlägig sind. Demnach genösse der Leiharbeitnehmer in einer solchen Konstellation keinerlei Schutz gegen Sanktionen seines Arbeitgebers.
 
Aber auch Benachteiligungen seitens des Entleihers sind unserer Meinung nach durchaus denkbar, in dem dieser dem Whistleblower z.B. konkrete Zugangsmöglichkeiten entzieht oder beim Verleiher klarmacht, diese Person nicht mehr überlassen bekommen zu wollen. Dies und die nachfolgende Entlassung durch den Verleiher mangels anderweitiger Einsatzmöglichkeit könnten dann, unabhängig von der Frage, wem gegenüber der Hinweis erfolgte, unter Umständen seitens eines Gerichts nicht als Benachteiligung durch den Verleiher iSv. § 612a BGB angesehen werden. Der beabsichtigte Schutz des Whistleblowers liefe leer.

Ein Wahlrecht zwischen externer und interner Klärung wäre nach unserer Auffassung nicht sachgerecht. Es ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in vielen Fällen ein legitimes Interesse an einer vorherigen internen Klärung hat. Eine solche kann auch zum Schutz von Arbeitsplätzen beitragen. Wenn jedoch beispielsweise eine Gefahr für gewichtige Individual- oder Kollektivrechtsgüter droht oder die Begehung von Straftaten im Raum steht, muss das Interesse des Arbeitgebers zurückstehen. Daher haben wir in § 612b Abs. 2 unseres Entwurfs eine Vielzahl von Fällen geregelt, in denen der Grundsatz der vorherigen internen Klärung durchbrochen ist. Wir denken, dass wir so im Ergebnis einen gerechten Interessenausgleich schaffen können.
Hinsichtlich Ihres Hinweises, dass wir mit unserem Gesetzentwurf hinter der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts zurückbleiben, haben wir den Nachbesserungsbedarf erkannt. Strafanzeigen müssen dementsprechend grundsätzlich möglich sein, es sei denn der Arbeitnehmer war bösgläubig oder hat leichtfertig unrichtige Vorwürfe erhoben. Wir arbeiten diesbezüglich zur Zeit an Korrekturen des Gesetzesentwurfs und werden für diesen Fall auch die notwendigen Beweislastregelungen vorsehen. Der Rechtsprechung ist jedoch kein genereller Grundsatz zu entnehmen, dass externe Hinweise, gleich welcher Art, stets zulässig sein müssen, sofern sie nicht bösgläubig oder leichtfertig erfolgen. Ein solcher Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung lediglich für Strafanzeigen und die Wahrnehmung bzw. Erfüllung staatsbürgerlicher Rechte oder Pflichten im Strafverfahren.

Wir bedanken uns für Ihre Bereitschaft, die externen Meldemöglichkeiten im Hinblick auf Strafrechtsverstöße nochmals zu überarbeiten. Auch jenseits dessen gibt es aber sehr wohl Anzeichen in Gesetz und Rechtsprechung, die auf ein Recht des Whistleblowers hindeuten, sich auch ohne Vorliegen einer besonderen Unzumutbarkeit direkt an eine zuständige Behörde zu wenden. Artikel 17 GG kennt eine solche Vorschaltnotwendigkeit ebenso wenig wie z.B. § 25 LDatenSchG-NRW und andere Landesdatenschutzgesetze, gleiches gilt auf international rechtlicher Ebene für Art. 5 c) der ILO-Konvention 158. Schließlich heißt es im Urteil des EGMR im Fall Heinisch in Rn. 65 (ebenso zuvor schon die Urteile Guja und Marchenko), generell und ohne Bezug auf Strafrecht: „Consequently, in the light of this duty of loyalty and discretion, disclosure should be made in the first place to the person’s superior or other competent authority or body.“
 
Die unbedingte Freigabe der Meldemöglichkeit an zuständige Behörden folgt letztlich aus dem Gewaltmonopol des Staates. Sie bedeutet aber andererseits nicht, dass es nicht in sehr vielen, wenn nicht sogar den meisten Fällen sinnvoll sein kann, zunächst eine interne Klärung zu versuchen. Wir laden auch alle Unternehmer ein, interne Hinweisgebersysteme einzurichten, die transparent, unabhängig, zügig und unter Berücksichtigung der Interessen und Rechte sowohl der Whistleblower als auch möglicher Verdächtiger mögliche Missstände aufklären und effektiv abstellen. Wo solche bestehen, werden Whistleblower diese in noch stärkerem Maße anderen Wegen vorziehen. Allerdings ist es unserer Meinung nach der falsche Weg, den Zugang zu Alternativen zur internen Hinweisen zu erschweren, da dann der Anreiz für Unternehmer selbst sorgfältig mit Hinweisen umzugehen, gemindert wird, und Whistleblower in kaum abschätzbare Beweisproblematiken verstrickt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung hat der Arbeitgeber das Recht aus § 9 I 2 KSchG, einen Antrag auf Auflösung zu stellen, nur dann, wenn die Kündigung ausschließlich aufgrund der Sozialwidrigkeit unwirksam ist. Ergibt sich die Unwirksamkeit noch aus anderen Gründen, kann der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht verlangen (BAG, Urteil vom 9. 10. 1979 – 6 AZR 1059/77; BAG, Urteil vom 28. 8. 2008 – 2 AZR 63/07)
Im Fall des berechtigten Whistleblowings würde sich die Unwirksamkeit der Kündigung aus § 612a BGB ergeben, so dass ein Antrag des Arbeitgebers auf Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich wäre. Insofern sehen wir an dieser Stelle keine Gefahr eines „Schlupflochs“ für den Arbeitgeber.

Was den Antrag auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG angeht, so existiert die von Ihnen angeführte Rechtsprechung zwar, in der Praxis stellt sie aber gerade nicht die von uns und wohl auch von Ihnen erhoffte Sperre gegen Umgehung von Whistleblowerschutz dar, im Gegenteil. So wird diese Rechtsprechung von den Untergerichten oft nur unzureichend rezipiert und in der Gerichtspraxis dienen derartige Anträge der Arbeitgeberseite häufig auch dazu, die betroffenen Arbeitnehmer in einen Vergleich zu drängen, der dann meist eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu einem späteren Zeitpunkt als jene auf den Kündigungszeitpunkt rückwirkende Bestimmung enthält (was dem Arbeitnehmer als Vorteil verkauft wird), allen beteiligten Anwälten höhere Gebühren verschafft und dem Gericht ermöglicht, sich des Ausfertigens eines Urteils und des Aufhebungsrisikos zu entledigen.
 
Aber auch auf der Ebene der Landesarbeitsgerichte und des Bundesarbeitsgerichts gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen in Fällen von Whistleblowing oder in dem Whistleblowing sehr ähnlichen Konstellationen § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen den Willen des Arbeitnehmers angewandt wurde (z.B.: BAG vom 23.10.2008, 2 AZR 483/07; LAG Mainz vom 08.04.2008, 3 Sa 442/07 und LAG Bremen vom 12.04.2011, 1 Sa 36/09). Viele Gerichte bestreiten dabei den Argumentationsweg, dass das Whistleblowing unberücksichtigt bleiben könne, da es ja nicht geeignet sei, die Kündigung zu tragen, dennoch aber (und dann mit der beschriebenen Rückwirkung) das beharrliche Festhalten des Whistleblowers und seines Anwaltes an den Vorwürfen in und ggfls. außerhalb des Prozesses sowie die Reaktion anderer Mitarbeiter darauf es dem Arbeitgeber aber unzumutbar mache, das Arbeitsverhältnis vorzusetzen. Wie Ihr Vorschlag gegen diese Umgehung des Schutzes gefeit wäre, sehen wir leider nicht.
 
Sogar in dem in Ihrer Begründung erwähnten Fall der DG-Bank-Whistleblowerin gab es bereits ein Kündigungsurteil, welches auf § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG gestützt worden war und zunächst rechtskräftig wurde (LAG Hessen, 2 Sa 144/99). In ihrer aktuellen Verhandlung über die 19.(!) Kündigung vom 08.12.2004 (ArbG Frankfurt am Main, 9 Ca 6439/09) versucht die Rechtsnachfolgerin, die DZ Bank AG, erneut jenen Weg zu beschreiten, für welchen der Richter auch durchaus bereits einige Sympathie angedeutet, jedenfalls jenen Weg aber keineswegs unter Verweis auf die von Ihnen angeführte Rechtsprechung von vornherein ausgeschlossen hat. Schließlich könnte jene Umgehung mit der oben dargelegten Argumentation sogar im Fall Heinisch durchaus nochmal eine Rolle spielen, wenn nach Aufhebung der außerordentlichen Kündigung erneut über die fristgemäßen Kündigungen zu verhandeln sein wird.

Eine Einbeziehung des Whistleblowings in § 1 AGG erscheint uns nicht als sinnvoll. Nach § 1 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung usw. geschützt. Also Merkmale, die einer Person gewissermaßen „anhaften“. Whistleblowing hingegen ist ein Verhalten. Zudem verwirklicht das AGG einen besonderen Schutz aufgrund von Art. 3 GG und Art. 21 I GR-Charta der Europäischen Union und diente der Umsetzung mehrerer EU-Richtlinien (insbesondere RL 2000/43, RL 2000/78). Aufgrund dessen entsprechen die Merkmale in § 1 AGG weitgehend denen in Art. 3 III GG und Art. 21 I GR-Charta der Europäischen Union. Nach unserer Auffassung wäre Whistleblowing daher ein Fremdkörper im AGG. Es würde sich auch die Frage stellen, warum nicht auch andere Verhaltensweisen, die als Gründe für Diskriminierungen in Betracht kommen, eine Einbeziehung in das AGG finden. Ferner ist die Systematik des AGG an vielen Stellen auf das Zusammenspiel von Benachteiligungsverboten und Rechtfertigungsgründen zugeschnitten. Auch hier vermag sich das Whistleblowing als Merkmal nicht richtig einzufügen (vgl. etwa § 8 AGG).

Die Frage der Einbeziehung des Whistleblowings in das AGG sollte unserer Meinung nach nicht als juristisch dogmatische „Fremdkörper“-Diskussion sondern vor dem Hintergrund dessen geführt werden, was damit bewirkt werden könnte. Wir selbst haben in unserem Gesetzesentwurf keine Einbeziehung in das AGG vorgeschlagen, sondern wichtige AGG Schutzmechanismen explizit auf die Whistleblowing-Konstellation übertragen, dies wäre ein alternativer Weg. Jedenfalls halten wir es für wichtig, auch in Fragen des Whistleblowings ein klares Signal der Ächtung als Diskriminierung zu setzten (z.B. §§ 1, 3 AGG), einen weiten sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich zu ermöglich (§§ 5-7 AGG), dem Arbeitgeber spezifische Fürsorgepflichten aufzuerlegen (§ 12 AGG), dem Whistleblower ein explizites Leistungsverweigerungsrecht zu gewähren (§ 14 AGG), die kollektiv-rechtliche Komponente einzubeziehen (§ 17 AGG) und die Unterstützungsmöglichkeiten durch besondere Verbände und Stellen (§§ 23, 25ff. AGG) auch Whistleblowern anzubieten. Einige jener Punkte werden im Übrigen auch dann als Defizite Ihres Vorschlages deutlich, wenn man ihn mit der internationalen „best practice“ vergleicht (vgl. insoweit die oben zitierten Papiere von TI, GAP und OECD/G20).
 
Aber selbst Ihre dogmatische Argumentation ist bei genauerer Betrachtung kaum haltbar. Abgesehen davon, dass die Grünen selbst das AGG früher noch als weitreichendes Anti-Diskriminierungsrecht verstanden haben und dafür eintraten, es möglichst weit zu fassen (vgl.) enthalten selbst die EU-Richtlinien in ihren Erwägungsgründen einen klaren Bezug auf die Grundsätze „der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ (so z.B. RL 2000/43 Nr. 2) und besagen ganz allgemein: „Die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz aller Menschen vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht.“ Die bereits zitierte ILO-Konvention 158 enthält unmittelbar hinter dem Whistleblowerschutz in Nr. 5 c) in Buchstabe d) die Aufzählung „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Familienstand, Familienpflichten, Schwangerschaft, Glaubensbekenntnis, politische Meinung, nationale Abstammung oder soziale Herkunft“. Und letztlich ist auch Art. 3 Abs. 3 GG nur eine Spezialnorm zum allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der eben jede Diskriminierung aus ungeeigneten Gründen, also auch wegen Whistleblowings, verbietet. Ist es aus rechtsstaatlicher Perspektive denn wirklich zwingend, vor Diskriminierung wegen z.B. „Religion oder Weltanschauung“ (die keiner Person „gewissermaßen anhaften“, sondern auf einer eigenen, freien Entscheidung beruhen) besser zu schützen, als vor der Benachteiligung jener, die sich aktiv für die Wahrung der Gesetze einsetzen (und von Gesetzes wegen teilweise sogar verpflichtet dazu sind)?
 
Auch der Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass Whistlebowerschutz und Anti-Diskriminierungsschutz zusammen passen. Vielfach sind Gremien, die für Beschwerden über Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes oder der Menschenrechte zuständig sind, dort schon heute auch für den Schutz von Whistleblowern zuständig (z.B. in Australien, Ghana oder Uganda), und Gerichte in Großbritannien berechnen den Schadensersatz für Whistleblower schon heute nach den Grundsätzen des Anti-Diskriminierungsrechts.
 
In Deutschland gelten außerdem über § 16 Abs. 1 und 2 AGG schon heute wesentliche Teile des AGG ohnehin bereits für eine bestimmte Gruppe von Whistleblowern, nämlich für jene, die auf Verstöße gegen das AGG selbst hinweisen. Warum sollte dann eine Ausweitung auf Hinweise bzgl. anderer Gesetzesverstöße derartig problematisch sein? Der von Ihnen angeführte § 8 AGG stellt dabei sicherlich kein Hindernis dar. Ähnlich wie bei den Kriterien Hautfarbe dürfte sich bei Kriterium „Whistleblowing“ kaum ein zweckmäßiger und angemessener Ausnahme-Diskriminierungsgrund und damit kaum ein konkreter Anwendungsbereich jener Norm ergeben. Dies wäre aber letztlich unschädlich.

Schließlich möchten wir noch darauf hinweisen, dass der Gesetzentwurf keine Unterscheidung zwischen offenem und anonymem Whistleblowing trifft und mithin anonymes Whistleblowing nicht ausschließt.

Dass Sie Ihren Entwurf auch auf anonymes Whistleblowing angewandt sehen wollen, begrüßen wir sehr, hielten es angesichts der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches eine Berufung selbst auf Artikel 5 GG im Falle anonymen Whistleblowings für unzulässig hält, aber für sinnvoll, dies mindestens in den Gesetzesmaterialien auch klarzustellen. Damit wären aber dann noch keineswegs die anderen Fragen gelöst, die mit anonymem Whistleblowing und seiner Bearbeitung im Zusammenhang stehen. Der anonyme Whistleblower wäre damit vor Aufdeckung oder Ausforschung seiner Identität nach wie vor nicht geschützt. Beratende Institutionen hätten weiterhin kein Recht darauf, die Identität des Whistleblowers zu schützen und auch die Betreiber interner Hinweisgebersysteme müssten sich nach wie vor vorhalten lassen, dass sie diese wegen Verstoß gegen Datenschutzrecht nicht betreiben oder zumindest nicht bewerben dürfen. Ein weiteres Problem, nämlich die Wahrnehmung von Rechten durch anonyme Whistleblower stellt sich in Ihrem Gesetzesentwurf dabei allerdings in der Tat kaum, da sie ja weder offenen noch anonymen Whistleblowern ein Recht auf Information über die Behandlung ihres Hinweises, noch auf dessen angemessene Bearbeitung zubilligen wollen. Nur im Falle einer Diskriminierung hätte der anonyme Whistleblower dann noch zusätzlich das Problem, seine Identität offenlegen und nachweisen zu müssen, dass dem Täter diese bereits bekannt war oder vermutet wurde.

Ferner erwägen wir derzeit die Ergänzung einer Evaluierungsklausel.

Die Ergänzung um eine Evaluierungsklausel begrüßen wir, glauben aber, dass eine Evaluierung, solange es keine systematische Erfassung von Whistleblower-Fällen selbst im öffentlichen Bereich und keinen dafür zuständigen Whistleblower-Beauftragten – wie wir ihn in unserem Gesetzesentwurf vorgeschlagen haben – gibt, eine Evaluierung nur bedingt aussagekräftig sein wird. Mangels eines – von uns ebenfalls vorgeschlagenen – Fonds besteht dann ja auch immer noch kein Pool um die gesellschaftlichen Gewinne durch Whistleblowing wenigstens teilweise sichtbar zu machen und in alten und neuen Whistleblowerfällen jene zu entschädigen, die sich für öffentliche Interessen aufopfern ohne – z.B. bei Insolvenz des Anspruchsgegners – ausreichend geschützt zu sein.
 
Aus unserer Sicht wäre es darüber hinaus hilfreich, die Evaluierung nicht erst für die Zukunft vorzusehen, sondern schon jetzt einem Dialog (z.B. in Form eines runden Tisches) mit allen Beteiligten zu organisieren, um herauszuarbeiten, welche Lektionen aus vergangenen und noch laufenden Whistleblowerfällen gelernt, welche Missstände aktuell bekämpft und welchen Betroffenen hier materiell oder immateriell noch geholfen werden kann.

Wir freuen uns weiterhin auf eine anregende Diskussion und werden selbstverständlich die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen weiter prüfen.

Nochmals vielen Dank für die begonnene und hoffentlich weitergehende Auseinandersetzung mit unseren in diesem und unseren anderen Stellungnahmen enthaltenen Argumenten und deren Berücksichtigung bei
Ihrer Arbeit.
 
Mit freundlichem Gruß
Whistleblower-Netzwerk e.V.

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