Stellungnahme zu Wikileaks

In der Zeit findet sich ein Artikel zu Wikileaks in dem auch ein Statement des Vorsitzenden des Whistleblower-Netzwerks e.V. zitiert wird. Um unseren Lesern ein besseres Bild der Einschätzungen des Whistleblower-Netzwerks zu Wikileaks zu geben, veröffentlichen wir nachfolgend die vom Vorstand des Netzwerkes beschlossene Stellungnahme in vollem Wortlaut:

Thesen zu Wikileaks u.a.m.:

1. Leaking lässt sich letztlich nie komplett verhindern
2. Im Internet kann jede geleakte Information auf Dauer für jeden verfügbar werden.
3. Gute Fakes und Echte Dokumente sind im Internet nicht unterscheidbar.
4. Whistleblowern geht es nicht um das Leaken als solches, sie wollen Aufklärung und Veränderung.
5. Aufklärung braucht Kompetenz und Kapazität (zeitlich, sachlich).
6. Wikileaks kann Aufklärung anstoßen und einfordern, leistet sie aber bisher kaum.
7. Veränderung braucht Macht.
8. Wikileaks kann öffentlichen Druck und damit Reaktion fördern.
9. Öffentlichkeit ist schnell im (ver)urteilen und im vergessen, Schnelligkeit gefährdet Sorgfalt.
10.  Wo Rechtsstaat versagt ist Öffentlichkeit nötig, wo Medien versagen auch unkonventionelle.

Unseres Erachtens sollte in einem Rechtsstaat die Einschaltung zuständiger staatlicher Stellen, dort wo sie möglich und nicht offensichtlich aussichtslos ist Vorrang haben vor einem öffentlichen Whistleblowing. Der nächste Schritt wäre dann die Einschaltung von Journalisten die willens und in der Lage sind jenseits einzelner Dokumente auch Hintergründe selbst zu recherchieren. Dies macht das Vorhaben glaubwürdiger und damit im Sinne einer Aufklärung und Veränderung auch wirkungsvoller als das anonyme Einstellen von Dokumenten. Durch den Kontakt mit einem Journalisten der sein Handwerk versteht und die Schwierigkeiten des Informantenschutzes beachtet ist im übrigen eine bessere Anonymisierung zu gewährleisten als durch Wikileaks. Letzteres betrifft ja nur die Übermittlungstechnik und enthält keinen Schutz vor unbeabsichtigter Selbstoffenbahrung durch verräterische Spuren in den Dokumenten oder Inhalten. Wo sich aber weder staatliche Stellen noch Journalisten finden lassen, also z.B. in der Hauptzielgruppe totalitäre Systeme, hat Wikileaks durchaus seine Berechtigung.

Neben der Selbstoffenbahrungsgefahr für gutgläubige Whistleblower  (s.o.) besteht bei Wikileaks angesichts gegenüber Behörden und klassischem Journalismus geringerer Überprüfung und angesichts der unmittelbaren 1:1 Veröffentlichung die nur hier stattfindet auch ein wesentlich geringerer Schutz vor Missbrauch durch bösgläubige Denunzianten. Dies birgt eine erhöhte Gefahr für Angeschuldigte, insbesondere wenn es um Einzelpersonen geht denen keine Medienmacht zur Richtigstellung und zum Zurückschlagen zur Verfügung steht. Unklar ist auch ob und welche Inhalte Wikileaks selbst unterbinden würde. Was wäre mit sexuellen Enthüllungen oder der massenweisen Veröffentlichungen von Personendaten, z.B. Datenbankauszügen aus Finanzamtsbeständen?

Der direkte Weg an die Öffentlichkeit ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung ähnelt unseres Erachtens tendenziell eher dem vorgehen bei der Lynchjustiz als dem Prinzip einer öffentlichen Hauptverhandlung in der auch der Beschuldigte Rechte hat und gehört wird. Wikileaks meint dieser Gefahr durch öffentliche Diskussion im Wiki-Format klären und die Spreu vom Weizen trennen zu können. Klärend kann eine solche Diskussion aber nur sein wenn sie auf Wissen und Fakten und nicht auf puren Spekulationen basiert. Wie dies gewährleistet werden soll bleibt unseres Erachtens unklar. Außerdem müssten dann auch jeweils die Hintergründe und Motive der Disputanten sichtbar sein, was bei auch insoweit anonymen Beiträgen nicht der Fall ist.

Wikileaks hat einen Beitrag zum Thema Whistleblowing geleistet und enthält auf seiner Seite viele Informationen und Links zu Informationen über Whistleblower und Whistleblowerorganisationen aus der ganzen Welt dies ist positiv. Positiv und ehrenwert sind sicherlich auch die Absichten der Initiatoren. Entscheidend ob Wikileaks diesem Anspruch gerecht werden kann ist aber die Recherche und Analysetiefe. Bisher erscheint uns diese eher dürftig, wenn sie das Niveau von gutem investigativem Journalismus erreichen würde, könnte Wikileaks aber auch in nicht-totalitären Staaten eine wichtige Ergänzung der Medienlandschaft und ein begrüßenswerter Beitrag zur Transparenz sein.

Dann würde auch Whistleblower-Netzwerk e.V. stärker darüber nachdenken Whistleblowern die Nutzung von Wikileaks zu empfehlen. Derzeit setzen wir aber mehr auf die Stufenfolge, wo möglich interne Klärung, wo nötig staatliche Stellen und wenn auch dies nicht reicht Medien. Im Vordergrund steht dabei für uns aber immer, dass wir dem Whistleblower auch aufzeigen welche Chancen und  Risiken mit den jeweiligen Stufen verbunden sind und ihm die Letztentscheidung über seinen Weg überlassen. Nichts anderes gilt auch für eine Nutzung von Wikileaks gelten.

Hinsichtlich der aktuellen Ereignisse möchten wir noch ergänzen: Insbesondere die Erstellung aber auch die Verbreitung von Kinderpornographie sind verabscheuenswürdige Straftaten. Den Staat trifft die Pflicht seine Bürger und vor allem die Kinder hiervor zu schützen. Andererseits darf unseres Erachtens der Kampf gegen Kinderpornographie nicht dazu führen Freiheitsrechte und insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung zu gefährden oder gar auszuhölen und der Staat muss bei allen Aktivitäten auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Der – wie sich mittlerweile herausgestellt hat – unberechtigte Aufschrei in der Blogosphäre anlässlich der Nichterreichbarkeit von Wikileaks.de zeigt, nicht nur dass Wikileaks und die Blogger (und auch einige professionelle Journalisten) wie oben ausgeführt ein Problem mit der Recherchesorgfalt haben, sondern vor allem auch, dass eine staatliche Domain-Sperrung von Wikileaks nur aufgrund der Veröffentlichung der Links zu Kinderpornoseiten von vielen Menschen in unserem Lande für möglich gehalten wurde. Die vorhergehende Hausdurchsuchung bei Herrn Reppe, die Diskussion um staatliche Internetfilter, vor allem aber die bereits seit längerem zu beobachtende meinungsäußerungsbeschränkende Rechtsprechung (sei es im Abmahnrecht oder bzgl. der Verantwortlichkeit bei Linkketten) haben hierzu sicherlich einen erheblichen Beitrag geleistet. Diese Erwartungshaltung und das Für-möglich-halten derartiger Sanktionen sind aber jene Elemente die dazu führen, dass immer mehr Menschen eine Schere im Kopf haben und davor zurückschrecken ihre Meinung öffentlich zu äußern. Dies gefährdet den Kernbestand unserer Demokratie und diese ist unseres Erachtens ein wichtigeres Rechtsgut als die Schaffung einer Zugangsbeeinträchtigung zur Erlangung von Kinderpornographie die von den einschlägigen Kreisen ohnehin schnell umgangen werden wird.

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