„Es hilft nur eine Kultur, die Denunziationen nicht akzeptiert“

So überschreibt Spiegel Online den zweiten Teil eines Interviews mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Im Interview selbst finden sich, neben der Unterstützung der Gewerkschaftsforderung nach einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, dann folgende Äußerungen von Schaar zum Thema Denunziation:

SPIEGEL ONLINE: Oft haben Menschen Informationen nicht selbst verbreitet – das Internet wird auch genutzt, um gezielt zu denunzieren. Man hat den Eindruck, das Netz wird immer mehr zu einem rechtsfreien Raum. Wo muss es Schutz geben?

Schaar: Das ist sehr schwierig. Wenn jemand böswillig Informationen ins Netz stellen will, findet er meistens auch eine Plattform, auf der er das machen kann – und wo die Aufsichtsbehörden auf Grund der nationalen Begrenztheit nichts machen können. Ich fordere: Provider müssen dem Betroffenen auch Möglichkeiten geben, etwa Gegendarstellungen ins Netz zu stellen, genauso wie es in der Presse üblich ist. Vollständig wird man sich gegen elektronisch verbreitete Verleumdungen aber nicht wehren können – hier hilft nur eine Kultur, die Denunziationen nicht akzeptiert.

SPIEGEL ONLINE: Vermissen Sie eine ethische Debatte über die Entwicklung der Persönlichkeitsrechte im Netz?

Schaar: Diese Debatte ist dringend notwendig, und sie wird ja auch bereits geführt. Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen daran beteiligen. Letztlich geht es um die Grundfrage: Wie gehe ich mit Informationen um, was stelle ich ins Netz, und was wird mit den Daten gemacht?

Es bleibt zu hoffen, dass diese Äußerungen nicht bloß als eine weitere undifferenzierte Verteufelung der Denunziation gemeint sind oder so aufgefasst werden. Sie sollten vielmehr als Aufforderung zum kulturellen Diskurs und zur differenzierten Betrachtung verstanden werden. Dort wo Aussage und deren Widerspruch neben einander gestellt werden können (und nicht eine Seite die Medien beherrscht, das Urheber-, Wettbewerbs- und Strafrecht auf ihrer Seite hat und Widerspruch verdrängen und verfolgen kann), kann ein gesellschaftlicher Diskurs entstehen. Ein Diskurs der auch (ethisch/moralische) Fragen umfassen sollte, wie z.B.:

– Wer hat ein Recht auf welche nicht ohnehin bereits öffentliche Informationen und deren Verbreitung?
– Wo fängt Denunziation an?
– Kann die Verbreitung wahrer Informationen überhaupt Denunziation sein?
– Wenn ja, nur insoweit als damit Privatssphäre und Vertrauen zwischen Menschen verletzt wird oder auch bei wirtschaft- und gesellschaftlich relevanten Informationen?
– Gibt es ein Recht auf Anonymität, ein Recht Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Petitionsfreiheit u.a. auch anonym wahrzunehmen?
– Wie hoch wiegt das öffentliche Interesse an einer Information und deren Öffentlichkeit?
– Welche Informationen dürfen über Geheimnisschutz, Arbeitsrecht oder Urheberrechte privatisiert sein?
– Wie gut sind wir in der Lage uns vor Vorverurteilungen und „es bleibt immer etwas hängen“ zu hüten, Fehler zu bekennen und zu unrecht Beschuldigte angemessen zu entschädigen?

Wir alle leben in einer Informationsgesellschaft aber in der Informationsvermarktungsgesellschaft werden wichtige ethische Grundlagen viel zu wenig diskutiert.

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