Bundestag lobt Whistleblower aber gesetzlicher Schutz bleibt aus

In der gestrigen ersten Lesung des Gesetzesentwurfs von Bündnis90/Die Grünen für einen gesetzlichen Whistleblowerschutzhaben die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen immer wieder die Wichtigkeit von Whistleblowing, also der Aufdeckung von Missständen am Arbeitsplatz, betont und die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber für ihre Zivilcourage gelobt. Einigkeit bestand auch darin dass diese Menschen vor Repressalien geschützt werden müssen und dass es  wichtig ist, dass am Arbeitsplatz keine Kultur der Angst, des Schweigens und Wegsehens herrscht.

Links zu den Beiträgen (Mediathek) der Debatte im Bundestag vom 14.06.2012:
Göring-Eckardt, Katrin, Bundestagsvizepräsidentin
Hönlinger, Ingrid (B90/GRÜNE)
Lange, Ulrich (CDU/CSU)
Tack, Kerstin (SPD)
Golombeck, Heinz (FDP)
Binder, Karin (DIE LINKE.)
Connemann, Gitta (CDU/CSU)
Lösekrug-Möller, Gabriele (SPD)
Solms, Dr. Hermann Otto, Bundestagsvizepräsident

Das Gespenst des Denunziantentums, welches es abzuwehren gilt, wurde in der dritten Plenardebatte in knapp 18 Monaten deutlich seltener beschworen als zuvor. Bei allen Beiträgen war diesmal das Bemühen um eine Versachlichung und ein freundliches Auftreten gegenüber Whistleblowern deutlich spürbar. Unflätige Zwischenrufe wie die Vergleiche von Whistleblowern mit “Denunzianten” und “Blockwarten” blieben diesmal ebenso aus wie gegenseitige Unterstellungen und Zwischeninterventionen.  Ob hier bei einigen letztlich die offene Attacke nur aus taktischen Gründen gegen eine gewisse Doppelzüngigkeit ausgetauscht wurde, mögen andere beurteilen. Sicher aber dürfte sein, dass es in den letzten Jahren weniger opportun geworden ist offen gegen Whistleblower zu hetzen. Dies allein ist positiv, spiegelt es doch die Akzeptanz, die Whistleblower, nicht zuletzt dank der bekannt gewordenen Fälle – allen voran der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch – in der Bevölkerung und auch bei vielen Fachleuten in Unternehmen mittlerweile gewonnen haben.
Unterschieden haben sich die Fraktionen von Opposition und Regierung gestern jedoch in ihrer Analyse der Situation und ihrer Bereitschaft gesetzgeberisch zum Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern tätig werden zu wollen. Trotz Meinungsverschiedenheiten in der konkreten Ausgestaltung, die in der Debatte auch angesprochen wurden, lautet die Antwort der Opposition: Deutschland braucht dringend ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern! Die Reaktion der Regierungsfraktionen darauf ist ebenso klar: Nein, nicht mit uns, das geltende Recht ist völlig ausreichend!
Da nützte es dann auch wenig, dass die Oppositionsfraktionen immer wieder darauf hinwiesen, dass das Verfahren der Frau Heinisch schließlich 8 Jahre dauerte, dass es zahlreiche andere dokumentierte Fälle gibt, in denen Whistleblower ihre Zivilcourage mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bezahlen mussten und dass sich die Bundeskanzlerin auf G20-Ebene zu einem effektiven gesetzlichen Whistleblowerschutz verpflichtet hat. All dies prallte an Schwarz-Gelb nur ab. Deren Vertreterinnen und Vertreter bedauerten zwar, dass es keine endgültige Klarheit für Whistleblower hinsichtlich ihres Schutzes gäbe, behaupteten aber eine solche könne auch ein Gesetz  nicht bewirken, da es immer auf Generalklauseln zurückgreifen müsse. Letztlich käme es immer auf die genauen Umstände des Einzelfalls an und hier reichten Regelungen wie z.B. § 612a BGB völlig aus, um den Gerichten eine gerechte Entscheidung jedes Falles zu ermöglichen. Darüber hinaus gäbe es ja auch in immer mehr Unternehmen betriebliche Regelungen zum Whistleblowerschutz, die auf dieser Ebene, in Zusammenarbeit mit Betriebsräten einen ausreichenden Schutz sicherstellen könnten. Und auch das Heinisch-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) habe, so Schwarz-Gelb weiter, letztlich die von der Rechtsprechung der deutschen Gerichte entwickelten Kriterien für die Beurteilung von Whistleblower-Fällen bestätigt. Der EGMR sei letztlich nur bei deren Anwendung zu einem anderen Ergebnis für den konkreten Einzelfall der Frau Heinisch gelangt.
Aus der Sicht des Verfassers dieser Zeilen, ist für die Bewertung der Debatte und die Zukunft des Whistleblowings in Deutschland vor allem kennzeichnend, was in der Debatte nicht gesagt wurde. Die Fragen die offen blieben:
Die Regierungsfraktionen versäumten es der Opposition ihrer eigene Inkonsequenz beim Thema Whistleblowing vorzuhalten. So blieb unerwähnt, dass es ein Rot-Roter Senat in Berlin war, der über lange Jahre, den im Eigentum des Landes Berlin stehenden Konzern Vivatens in seinem Vorgehen gegen Brigitte Heinisch mindestens gewähren lies. Es wurde auch nicht danach gefragt, was oppositionsgeführte Landesregierungen in Deutschland derzeit tun und was sie tun könnten (z.B. für Landes-Bedienstete oder durch Forschungsförderung und Einrichtung von Beratungs- und Meldestellen) um Whistleblowing zu fördern und Whistleblower zu schützen. Die SPD wurde nicht gefragt, warum ihre eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament noch im letzten Monat mehrfach gegen dort vorgelegte, z.T. mit Stimmen der Konservativen verabschiedete, Regelungen zum besseren Schutz von Whistleblowern in den EU-Institutionengestimmt haben.
Aber auch die Regierungsfraktionen blieben zahlreiche Antworten schuldig. So äußerten sie sich mit keinem Wort zu den Versprechungen gegenüber den G20-Staaten. Mit keinem Wort zu den – in der letzten Bundestagsanhörung von vielen Sachverständigen geteilten – Feststellungen der OECD Studie:

“It is important to consider the most common barriers to whistleblowing. The burden of current procedures imposed on whistleblowers is also a matter of concern. For example, in Germany, the Federal Labour Court has upheld in certain occasions that public servants wishing to disclose wrongdoings have to first seek in-house clarification and determine the appropriateness of their disclosure or they could face a legal dismissal if they fail to correctly outweigh the public interest versus their loyalty obligation. Usually, courts undertake their own appreciation of situations, which in practice constitutes a disincentive to become a whistleblower.”

Die Regierungsfraktionen schwiegen sich auch aus über die Bedeutung der einleitenden Feststellung im Heinisch-Urteil des EGMR:

“31. Abgesehen von speziellen Bestimmungen für Beamte bezüglich der Meldung von Korruptionsverdachtsfällen enthält das deutsche Recht keine allgemeinen Bestimmungen für die Offenlegung von Missständen in Unternehmen oder Einrichtungen durch einen Arbeitnehmer (sogenanntes Whistleblowing), beispielsweise bei rechtswidrigem Verhalten seitens des Arbeitgebers, und die Diskussionen über entsprechende Gesetzesentwürfe haben noch nicht zu Ergebnissen geführt.”

 

Muss dies nicht so verstanden werden, dass hier ein internationales Gericht, natürlich mit der ihm gebotenen Zurückhaltung, eine klare gesetzliche Regelung für Deutschland einfordert? Eine gesetzliche Regelung die auch die im Urteil ebenfalls erwähnten Korruptions-Bekämpfungs-Konventionen von Europarat und UN vorsehen (die Deutschland allerdings bis heute, anders als fast alle anderen Staaten in Europa, immer noch nicht ratifiziert hat).
Hat der EGMR nicht auch ausgeführt:  ”65. Wegen der Pflicht zur Loyalität und zur Diskretion sollten Hinweise daher in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorgebracht werden.” und sind damit nicht explizit zuständige Behörden als mögliche Adressaten angesprochen, an die sich Whistleblower auch direkt wenden können sollen? Ist dies nicht gerade auch die grundrechtliche Garantie des Petitionsrechts aus Art. 17 GG, das in der gestrigen Debatte von niemandem überhaupt nur erwähnt wurde? Hat der EGMR mit seinem Urteil wirklich die Maßstäbe der deutschen Rechtsprechung gebilligt oder hat er diese nicht, aus dem für die EGMR-Rechtsprechung typischen Grundhaltung des Respekts vor dem Recht der Mitgliedstaaten, vielmehr vor allem deshalb herangezogen, um zu zeigen, dass im Falle Heinisch selbst deren Anwendung  zu einem anderen Resultat hätte führen müssen? Zeigt nicht auch der Vergleich im Falle Heinisch und sein Zustandekommen, dass selbst nach dem Urteil aus Straßburg keine der Parteien sicher sein konnte, wie der Prozess am Ende im Falle einer richterlichen Entscheidung ausgegangen wäre? Effektiver Schutz und  Rechtssicherheit durch ein Gesetz mit einfachen und klaren Regelungen, also z.B. dem festgeschriebenen Recht sich jederzeit an zuständige Behörden wenden zu dürfen, ist möglich und in der Tat überfällig.
Aber selbst wenn man sich einen Moment in die gegenteilige Position der Regierungsparteien versetzt so bleiben diese Antworten schuldig. Wenn es zutrifft, dass jedenfalls interne Whistleblowing-Systeme sinnvoll sind , warum tut die Bundesregierung dann bisher nichts,  um wenigsten in diesem Bereich Rechtssicherheit z.B. im Verhältnis zum Arbeitnehmerdatenschutz zu schaffen? Wann wird die Bundesregierung endlich aktiv, um wenigstens für Beschäftigte des Bundes und der von Bund kontrollierten Unternehmen unter deren Mitwirkung interne Whistleblowing-Systeme einzurichten, die best-practice Standards genügen? Wo sind, jenseits des gerade vom Bundeskartellamt eingerichteten Meldeweges, sichere auch anonym nutzbare Meldewege für Whistleblower um Bundesbehörden über Missstände zu informieren? Was tut der Bund, um in seinen Dienststellen und darüber hinaus in der Gesellschaft aktiv eine Kultur des Hinsehens und des Whistleblowings zu fördern? Wo sind die Forschungsprogramme, wo die Beratungsstellen und Hilfestellungen für (potentielle) Whistleblower?
Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Die Debatte um Whistblowerschutz und eine andere Kultur im Umgang mit Whistleblowing in Deutschland ist erst am Anfang. Sie muss weitergehen. Whistleblower-Netzwerk e.V. jedenfalls wird sie auch weiterhin einfordern und sich auch in Zukunft aktiv daran beteiligen. Sollte der Bundestag nicht bald seine Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, wird es eines verstärkten Engagements der Zivilgesellschaft bedürfen um den nötigen Druck zu entfalten. Das Wahljahr 2013 bietet hierfür eine gute Gelegenheit.

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